Leidenschaft - zum Schreien komisch

»Notre Carmen« in den Sophiensaelen

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

An Courage mangelt es nicht. Wer an einem 13. eine Premiere mit dreizehn Darstellern auf die Beine stellt, ersetzt den an Theatern verbreiteten Aberglauben mal einfach durch Übermut. Davon gibt es reichlich in der aktuellen Produktion des Musiktheaterkollektivs Hauen und Stechen.

Die Truppe aus Sängern und Schauspielern widmet sich diesmal Georges Bizets Oper »Carmen« von 1875. Zweifel an der eigenwilligen künstlerischen Aneignung will schon der Titel der Produktion ausräumen, die vom Hauptstadtkulturfonds gefördert wurde und in Kooperation mit den Sophiensaelen und dem Pariser Théâtre Louis-Jouvet Athénée entstand: »Notre Carmen« - »unsere« Carmen ist eine Interpretation voller Aberwitz. Ein gelungener künstlerischer Bruch. So kann man sich darüber lustig machen, wie sich Liebe für gewöhnlich auf der Opernbühne abspielt.

Die Handlung der Oper wird im Großen und Ganzen gehalten. Soziale Widersprüche aber, die ansonsten darin eine entscheidende Rolle spielen, sind nur schwach angedeutet. Darum geht es hier nicht. Vielmehr dreht sich bei »Notre Carmen« alles humorvoll um Leidenschaft. Darum, wie der Mensch ihr zum Schreien komisch ausgeliefert sein kann. Es wird geknurrt und geschnurrt, gestürzt, gerannt, maßlos übertrieben. Rollen werden getauscht, Ohnmachtsanfälle getanzt. Bricht da im Eifer jemand vor Liebesschmerz an einem Ort zusammen, wo es eigentlich nicht geplant war, dann wird er eben schnell an die richtige Stelle gezerrt. Alles gerät durcheinander. Irgendwann ist es überhaupt nicht mehr wichtig, wer gerade Carmen, wer Don José ist.

Vom Gefühl sind alle übermannt unter der Regie von Franziska Kronfoth, mit der Choreografie von Julia Lwowski. Aber wenn gesungen wird, dann gut: von Angela Braun, Valentin Bezençon, Thorbjörn Björnsson. Gina-Lisa Maiwald und Günter Schanzmann ergänzen das schauspielerisch besonders ulkig.

Das Kollektive an dieser Produktion ist deutlich erkennbar. Schön überhöht umgesetzt sind Bühne und Kostüm von Christina Schmitt und die Videos von Martin Mallon. Das musikalische Konzept von Roman Lemberg, der sich zusammen mit Louis Bona um die Arrangements kümmerte, stimmt. Sie nutzen wichtige Arien wie »Nimm dich in Acht ...«, ergänzen die Inszenierung jedoch mit heute Bekanntem. Wenn es in »Carmen« nun mal um so viel Liebe und so viel Tabak geht, dann passt dazu eben auch der Titel »L’amour c’est comme une cigarette«.

Bei allem Spaß hat die zweieinhalbstündige Inszenierung vor der Pause aber auch Längen. Das ist typisch für das Musiktheaterkollektiv Hauen und Stechen. Man vergisst das später schnell, wenn sich das Stück weiter zuspitzt. Am Ende wurde die Premiere vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen. Nur den Liebhabern der klassischen Oper sei gesagt: Nehmt euch in Acht, wenn ihr das seht!

Nächste Vorstellungen vom 15. bis zum 17.12. in den Sophiensaelen, Sophienstraße 18, Mitte

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