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SOS für Sumatra-Tiger
Entwaldung und Straßenbau treiben die letzten Großkatzen der Insel immer mehr in die Enge. Zwar gibt es Zuwachs in Schutzgebieten, doch außerhalb sinkt ihre Zahl seit Jahren, wie eine neue Studie zeigt. Von Michael Lenz
Der Sumatratiger (Panthera tigris sumatrae) ist die kleinste noch lebende Unterart der gestreiften Großkatze. Die Weltnaturschutzunion IUCN listet den Sumatratiger als »vom Aussterben bedroht«. Die exakte Zahl der noch durch die Wildnis Sumatras streifenden Tiger ist unbekannt. »Nach unseren Daten sind es zwischen 328 und 908«, sagt der Leiter der Studie, Matthew Luskin von der Nanyang Technological University in Singapur.
Die Freunde des halbleeren Glases werden bestätigt durch die Erkenntnis, dass die Zunahme der Tigerpopulation nicht nachhaltig ist. »Die Zahl der Tiger mag zeitweise gestiegen sein, aber das gesamte Potenzial der inselweiten Population ist zwischen 2000 und 2012 durch den Verlust und die Zerstörung von Wäldern um 16,6 Prozent zurückgegangen und Subpopulationen sind signifikant stärker fragmentiert«, klagen die Wissenschaftler.
Zwischen 1990 und 2010 wurden 37 Prozent der Wälder Sumatras von internationalen Multis für Ölpalmenplantagen abgeholzt. »Trotz der zunehmenden Tigerdichte in kleineren Schutzgebieten kommen wir zu dem Schluss, dass es nur noch zwei Gebiete gibt, die groß genug sind, um mehr als 30 fruchtbaren weiblichen Tigern den notwendigen Lebensraum zu bieten«, heißt es in der Studie. Das lasse die Vermutung zu, dass ohne einen Stopp der Entwaldung die Sumatratiger vom Aussterben bedroht bleiben. Mit einer Fläche dreimal so groß wie Dresden braucht ein Sumatratiger mehr Platz als seine Verwandtschaft in anderen Tigerländern.
Die beiden Gebiete mit »entscheidender Bedeutung« für das Überleben der Sumatratiger sind die Nationalparks Gunung Leuser im Norden und Kerinci Seblat im Westen Sumatras. Jedes dieser Reservate biete für mindestens die nächsten 200 Jahre, auch ohne zusätzliche Art erhaltenden Maßnahmen, Lebensraum für mehr als 40 fruchtbare Tigerweibchen, heißt es in der Studie - wenn Abholzung und Wilderei verhindert werden können. Beide Parks kamen 2004 auf die UNESCO-Liste des Welterbes. Nur sieben Jahre später waren sie auf der Roten Liste des gefährdeten Welterbes.
Für seine Studie hat das Team um Luskin den Tigern mit Kamerafallen nachgespürt. Die Tigerforschung in den Urwäldern zwischen Jambi im Süden und Gunung Leuser im Norden Sumatras war aber kein Zuckerschlecken. »Ein Jahr im Dschungel zu leben war die interessanteste, schwierigste, schmutzigste, schönste und emotionalste Erfahrung meines Lebens«, erzählt Luskin. »Jeden Tag wurden wir von 50 bis 500 Blutegeln befallen, von den sich so jeweils zwischen fünf und zehn in uns verbissen hatten. Noch schlimmer waren Spinnen, Moskitos und einiges anderes Getier.«
Die üblichen Verdächtigen für die Entwaldung und damit die Zerstörung des Lebensraums der Tiger sind auch auf Sumatra die Ölpalmenplantagenbetreiber. Obwohl eine pauschale Verurteilung nicht mehr ganz fair ist. So manches Unternehmen stellt mit einem gewissen Erfolg auf nachhaltige Produktion um. Aber selbst der grünste Ölpalmenplantagenbesitzer braucht Werkzeuge, Maschinen und Unmengen von Lastkraftwagen zum Abtransport der begehrten Früchte der Ölpalme. Und natürlich Arbeiter, die in die entlegenen Wälder gebracht und versorgt werden müssen.
Dafür planieren Bulldozer auf ganz Sumatra Tausende von Kilometern für Straßen hin zu Regionen, die einst fernab jeglicher Zivilisation waren. Indonesien investiert auf Java und Sumatra massiv in den Straßenbau. Sumatra ist mit einer Fläche von 474 000 Quadratkilometern um rund 100 000 Quadratkilometer größer als Deutschland. Auf den 127 000 Quadratkilometern von Java - knapp das Doppelte der Fläche Bayerns - leben 130 Millionen Menschen. Die letzte Tigerspur auf Java verliert sich Ende der 1980er Jahre. Seit 1994 gilt der javanische Tiger als ausgestorben.
Mit den Straßen kommen auch jene Kriminelle in die einstmals unzugänglichen Wälder Sumatras, die illegal seltene Tropenhölzer abholzen und als Wilderer auch Jagd auf Tiger machen. Mit so ziemlich jedem Körperteil der Großkatzen ist Geld zumachen. Zähne, Haut, Schnurrhaare, Knochen, Penisse gelten als Glücksbringer und Heilmittel. Bis zu 40 Sumatratiger fallen laut Schätzung des WWF pro Jahr der kommerziellen Wilderei zum Opfer.
Indonesien hat in den letzten Jahren mit internationaler professioneller und finanzieller Hilfe Programme zum Schutz bedrohter Tierarten wie Elefanten, Orang-Utans oder eben Tiger aufgelegt, die sich den gleichen Lebensraum teilen. Gute Pläne und prächtige Ideen scheitern allerdings oft an der endemischen Korruption. »Viele tropische Länder haben Schwierigkeiten beim Schutz der formal geschützten und der ungeschützten Wälder. Korruption und das Fehlen ausreichender Ressourcen zum Stopp der Entwaldung sind die gemeinsamen Probleme vieler tropischer Länder wie Indonesien. Das Geld, das mit der Entwicklung der Ölpalmenplantagen verbunden ist, ist in dieser Situation nicht hilfreich«, weiß Luskin zu berichten. »Es gibt eine umfangreiche staatliche Naturschutzinfrastruktur auf Sumatra und viele Nichtregierungsorganisationen machen Fortschritte bei der Verlangsamung der Entwaldung«, sagt der Biologe und fügt hinzu: »Jetzt brauchen wir drei Dinge: Mehr formal geschützte Waldgebiete; mehr Personal vor Ort, um Eingriffe (in die Wälder) zu entdecken und zu stoppen, und strafrechtliche Konsequenzen.«
Gelingt das nicht, wird Sumatra in absehbarer Zeit wie das benachbarte Java sein - eine Insel ohne Tiger.
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