- Politik
- Preisverleihung an Ken Jebsen
Aluhüte und Erleuchtete
Im Berliner Kino Babylon fand eine umstrittene Preisverleihung ohne den Preisträger statt
»Die strengen Taschenkontrollen könn’se ruhig machen, ist sicher besser so bei den ganzen Verrückten hier«, sagt der Mann um die 60, im Mantel und mit grauen Haaren. Er zeigt abschätzig auf die rund 50 Demonstranten vom »Bündnis gegen Querfront«, die am Donnerstagabend im strömenden Regen bei einer kleinen Kundgebung vor dem Berliner Kino Babylon stehen. Gemeinsam mit Dutzenden anderen reiht sich der ältere Mann in die Einlassschlange für die Veranstaltung ein, der Eingang wird von Polizeiwagen gesichert. Ein Mann hält draußen ein Schild mit der Aufschrift »Mielke - Merkel - Lederer« hoch.
Am Abend wollte der Blog »Neue Rheinische Zeitung« in dem vom Land Berlin subventionierten Kino am Rosa-Luxemburg-Platz eigentlich einen Journalistenpreis, den »Kölner Karlspreis«, an den umstrittenen Medienschaffenden Ken Jebsen übergeben. Nach einer Intervention des Berliner Kultursenators Klaus Lederer von der LINKEN sagte der Babylon-Geschäftsführer Timothy Grossmann die Veranstaltung erst ab, ein Urteil vom Amtsgericht machte sie dann aber doch möglich.
Es entbrannte in der Linkspartei wie in der gesellschaftlichen Linken ein Streit. Es ging um Meinungsfreiheit, politische Bündnisse, die Grenzen einer emanzipatorischen Weltanschauung sowie um die - je nach Sichtweise - Angemessenheit oder Übertreibung von Antisemitismus-, Querfront-, und Verschwörungsideologie-Vorwürfen. Im Zentrum der Kritik stand Jebsen, der das Onlineportal »KenFM« betreibt, darüber hinaus auch die anderen angekündigten Redner.
Überraschend hatte Jebsen am Donnerstag beschlossen, der Preisverleihung fernzubleiben. Er wolle keinen Personenkult um sich aufbauen, hatte er in einer Tonaufnahme erklärt, die von Unterstützern vor dem Babylon abgespielt wurde. Von der Veranstaltung oder den Rednern distanzierte er sich nicht. Später hieß es, er sei gesundheitlich angeschlagen. Seine Unterstützer wollten ihm unabhängig von der Absage trotzdem die Ehre erweisen.
Einige der Gegendemonstranten vor dem Kino hatten sich derweil Hüte aus Aluminiumfolie aufgesetzt - ein bekanntes Symbol, um Verschwörungstheoretiker zu verspotten. Die LINKEN-Abgeordnete Anne Helm besuchte die Versammlung und sprach den Teilnehmern im Namen ihrer Fraktion Dank aus: »Wir stehen an eurer Seite!« Daniel Bache, Sprecher von »DIE LINKE.queer«, und Sarah Rambatz, Bundessprecherin der Linksjugend Solid, hatten sich zuvor ebenfalls öffentlich gegen Querfrontbestrebungen ausgesprochen.
Direkt nebenan, im Vorraum des Babylon-Kinos, konnte man nach Taschenkontrollen und dem Vorzeigen der Karten - die auch »Mainstream«-Journalisten bezahlen mussten - einen Blick auf die Infostände werfen. Broschüren vom »Deutschen Freidenker-Verband« klärten über »Siedlerkolonialismus und Apartheid in Palästina« auf; die Zeitung »Free 21« darüber, wie die US-amerikanische Denkfabrik »Rat für auswärtige Beziehungen« mit ihrer »Propaganda-Matrix« den »geostrategischen Informationsfluss kontrolliert«. Die Band »Bandbreite« präsentierte ihre CDs, darunter die Single »Zwangsimpfung« von 2009.
Der Saal war rasch voll, der Großteil waren Männer, darunter auch viele jüngere mit alternativem Aussehen. Mit Popcorn und Bier lauschte die Menge der Eröffnungsrede des Babylon-Geschäftsführers Grossmann - und erschrak über seine unerwarteten Worte. Grossmann distanzierte sich scharf von Jebsen und dem britischen Jazzmusiker Gilad Atzmon. Beide seien für ihn »Rassisten«. In Zukunft würden sie keine Bühne mehr im Babylon erhalten, Atzmon habe zudem aufgrund seiner Positionen Hausverbot. Erst im Nachhinein sei Grossmann klar geworden, um was für Personen es sich bei den Rednern gehandelt habe. »Sie haben freie Meinungsäußerung, aber nicht hier.« Aus dem Publikum hagelte es sofort »Pfui« und »Stasi«-Rufe, die Moderatorin rief ins Mikrofon: »Das ist unsere Veranstaltung.«
In den folgenden drei Stunden folgte das Programm, das sich aus einer »Komikernummer« eines Wehrmachts/NATO-Generals, Musikstücken und Reden zusammensetzte. Der für Jebsen gedachte Preis wurde zwischendurch symbolisch dem Publikum überreicht.
Die Laudatio auf den nicht anwesenden Preisträger stammte von dem »taz«-Mitarbeiter Mathias Bröckers, der selbst ebenfalls nicht da war. Sein vorgelesener Beitrag basierte auf Platons Höhlengleichnis, nach dem unmündige und unwissende Menschen in einer imaginierten Höhle gefangen gehalten werden und sich durch eigene Anstrengung daraus befreien müssen. »Wir sitzen 2500 Jahre nach Platon noch immer in der Höhle und die Gaukler machen nach wie vor ihre Schattenspiele«, lies er verkünden. Die »Gaukler« sind für Bröckers die Medien, deren Arbeitsweise er ja kenne. Schließlich arbeite er im »medienkriminellen« Metier. Bröckers, der die offizielle Version über die Anschläge des 11. September 2001 anzweifelt, erklärte sein Verständnis von Aufklärung: »9/11 ist der Lackmustest für echten Journalismus.« Den Publizisten Henryk M. Broder, der nach einem Mailwechsel gegenüber Jebsen Antisemitismusvorwürfe erhoben hatte, nannte er einen »niederträchtigen Denunzianten«.
Die deutsch-jüdische Publizistin Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, sprach über den Israel-Palästina-Konflikt und wetterte gegen Senator Lederer, den sie als »Unkultursenator« und »Inquisitor« bezeichnete. Sie erklärte in ihrer Rede: »Nichts fürchten Zionisten mehr als die Wahrheit. Das gilt auch für ihre Helfer in der Politik und in den Medien. Das müssen wir bekämpfen.«
Das in diesem Fall offenbar antisemitisch konnotierte Sprachbild, bei dem »Zionisten« stellvertretend für »Juden« benutzt wird, ergänzte sie damit, dass »Staatsorgane« in deutschen Städten »72 Jahre nach Auschwitz Redeverbote in öffentlichen Räumen« erteilen würden. Sie warnte vor einer diffusen »Israelisierung« und verharmloste das Verbrennen von Israelfahnen bei Demonstrationen. Hecht-Galinski bezeichnete die linke Tageszeitung »junge Welt« wegen eines kritischen Artikels als »Dreckschleuder«.
Der Jazzmusiker Gilad Atzmon, der Hausverbot hatte, betrat die Bühne. »Palästina ist das letzte Opfer von Hitler«, sagte er und griff damit ein beliebtes Narrativ des sekundären Antisemitismus auf, das Schuldabwehr über eine Gleichsetzung israelischer mit NS-Politik betreibt. Er zählte verschiedene Argumente auf, wegen derer man ihn seiner Meinung nach zu Unrecht als Holocaustleugner bezeichnen würde. »Wenn mich das alles zu einem Leugner macht, dann bezahle ich den Preis.«
Klaus Hartmann vom »Deutschen Freidenker-Verband« erklärte wiederum in seinem Beitrag, dass er sich das Wort »Lügenpresse« - ein Schlagwort der rassistischen Pegida-Bewegung - nicht verbieten lassen will.
Den Abschluss machte Marcel W., Sänger der Band Bandbreite. »Hier sitzen die richtigen Antifaschisten, die Faschisten sitzen im Bundestag«, rief er der johlenden Menge entgegen. An Babylon-Chef Grossmann und weitere Kritiker richtete er die Worte: »Irgendwann kommen auch eure Nürnberger Prozesse, überlegt euch, auf welcher Seite der Anklagebank ihr sitzen wollt.« Die Anspielung ist ein beliebtes Motiv unter Rechtsradikalen. Die Rede endete mit einem Musikstück, im Hintergrund sah man auf der Leinwand Bilder der einstürzenden Türme des World Trade Centers.
Auf der Veranstaltung gab es nicht nur rechte, verschwörungstheoretische und antisemitisch geprägte Argumentationen. Mehrmals wurde sich in den Reden auf die linken Ikonen Marx und Engels, Brecht und Münzenberg berufen. Man lud das Publikum zur Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demo und zu Friedensprotesten bei der US-Militärbasis Ramstein ein. Gleich zu Beginn sangen die Gäste die Internationale. Es zeigte sich: Die einzig »wahren« Linken, die letzten »Aufrechten«, saßen aus Sicht von Rednern und Publikum im Saal.
Grossmann und Lederer waren die Feindbilder des Abends. Den Gästen schien es, als hätten die beiden und der Rest der Welt sich gegen sie verschworen. Der große Aufklärer Jebsen werde sich aber davon nicht einschüchtern lassen. Der »Meister«, »Buffalo Bill«, der »Mutige«, »Glaubwürdige« und »Erfolgreiche« wurde er genannt. Bei der Nennung seines Namens jubelte die Menge. Man war stolz auf ihn und auch auf sich selbst.
Ein Zuschauer namens Charly durfte zum Ende auf die Bühne. »Danke für den demokratischen Akt, mich sprechen zu lassen«, sagte er. »Mir fehlte heute Abend aber der humoristische Ansatz.«
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