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SPD Thüringen gegen Groko

Erster Landesverband stimmt gegen mögliche Koalition / Auch SPD in Nordrhein-Westfalen äußert Skepsis

  • Lesedauer: 4 Min.
Kurz nach dem Beschluss der Parteispitze zur Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union hat die Thüringer SPD als erster Landesverband gegen eine große Koalition im Bund gestimmt. Gleichzeitig warnte der größte SPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen die Parteiführung davor, sich zu früh auf ein neues Bündnis mit der Union einzustellen.

Ein Parteitag der Thüringer SPD billigte am Samstagabend in Erfurt einen Antrag der SPD-Nachwuchsorganisation Jusos, mit dem die Neuauflage einer großen Koalition im Bund abgelehnt wird. In dem Antrag heißt es unter anderem, eine erneute Regierung mit der Union würde einen weiteren Glaubwürdigkeitsverlust für die SPD bedeuten. In vielen Fragen gebe es kaum Gemeinsamkeiten. Vergeblich warben unter anderem SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Carsten Schneider, für ergebnisoffene Sondierungsgespräche.

Auch die NRW-SPD äußerte sich skeptisch zu einer Koalition mit der Union. »Es wird gerade viel über die staatspolitische Verantwortung der SPD schwadroniert«, sagte Landeschef Michael Groschek: »Wenn wir uns an die Rolle des Juniorpartners gewöhnen, enden wir als Wackeldackel.«

Indes macht Außenminister Sigmar Gabriel mit einem Gastbeitrag im »Spiegel« von sich Reden. Darin forderte er die SPD nach ihrem Debakel bei der Bundestagswahl zu einer grundlegenden Kurskorrektur auf. »Umwelt- und Klimaschutz waren uns manchmal wichtiger als der Erhalt unserer Industriearbeitsplätze, Datenschutz war wichtiger als innere Sicherheit«, schrieb der frühere Parteichef. Mit Blick auf die Herausforderungen durch den Rechtspopulismus forderte er zudem eine offene Debatte über Begriffe wie »Heimat« und »Leitkultur«.

Gabriel schrieb: »Ist die Sehnsucht nach einer «Leitkultur» angesichts einer weitaus vielfältigeren Zusammensetzung unserer Gesellschaft wirklich nur ein konservatives Propagandainstrument, oder verbirgt sich dahinter auch in unserer Wählerschaft der Wunsch nach Orientierung in einer scheinbar immer unverbindlicheren Welt der Postmoderne?«

Gabriel warnte vor dem Abstieg der Sozialdemokratie, wenn sie keine überzeugenden Antworten auf den fundamentalen Wandel durch Globalisierung und Digitalisierung finde. Die Idee der Sozialdemokratie fuße seit mehr als 150 Jahren auf gemeinsamer Interessenvertretung, auf kollektivem Handeln und auf einer auf Solidarität ausgerichteten Gesellschaft. »Wenig ist davon übrig.«

Gabriel warf seiner Partei Fehler im Wahlkampf vor: »Die Ehe für alle haben wir in Deutschland fast zum größten sozialdemokratischen Erfolg der letzten Legislaturperiode gemacht und nicht genau so emphatisch die auch von uns durchgesetzten Mindestlöhne, Rentenerhöhungen oder die Sicherung Tausender fair bezahlter Arbeitsplätze bei einer der großen Einzelhandelsketten.« Ein Blick auf die Entwicklung der Demokraten in den USA zeige, wie gefährlich diese Konzentration auf die »Themen der Postmoderne« sein könne: »Wer die Arbeiter des Rust Belt verliert, dem werden die Hipster in Kalifornien auch nicht mehr helfen.«

Die SPD müsse sich wieder stärker um jene Teile der Gesellschaft kümmern, die mit dem »Schlachtruf der Postmoderne «Anything goes»« nicht einverstanden seien, »die sich unwohl, oft nicht mehr heimisch und manchmal auch gefährdet sehen«. Doch nur mit mehr internationale Zusammenarbeit könne man das zentrale Versprechen der Sozialdemokratie wieder einlösen, nämlich den Kapitalismus zu zähmen und soziale und eine auf Solidarität ausgerichtete Marktwirtschaften zu erzeugen.

Bei ihrem derzeit prominentesten Thema signalisierte die SPD am Wochenende Kompromissbereitschaft. »Wir wollen die privaten Krankenversicherungen nicht abschaffen«, versicherte SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. CDU und CSU lehnen die Bürgerversicherung weiterhin ab. Eine »Einheitskasse« verbessere nicht die medizinischen Strukturen, kritisierte CDU-Vize Ursula von der Leyen. »Eine aufwendige Umstellung unseres Systems, das immerhin zu den besten der Welt gehört, würde über Jahre enorm viel Geld, Zeit und Kraft kosten, die wir viel besser in die Digitalisierung des Gesundheitswesens investieren sollten«

Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) betonte, die SPD plane keine Abschaffung der privaten Krankenkassen. Die Zwei-Klassen-Medizin müsse aber ein Ende haben. Klar sei, dass auch die Beitragsparität zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bei der Krankenversicherung wiederhergestellt werden müsse. Dass heißt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen einen gleichen Anteil in die Krankenversicherung einzahlen. Darüber herrsche in der SPD »breiter Konsens«. nd/Agenturen

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