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Die Tölpel und das Terror-Franchise-Unternehmen
Der Vorwurf von »Unprofessionalität« lenkt ab von grundlegenden Problemen bei den Sicherheitsbehörden
Die Zusammenarbeit sei »mangelhaft« und »unzureichend« gewesen. Man habe »verspätet« reagiert, notwendige Maßnahmen seinen »unterblieben«. Kurzum, die beteiligten Polizeibehörden hätten »unprofessionell« gearbeitet. So lässt sich die auf 72 Seiten abgegebene Bewertung des Sonderermittlers Bruno Jost zusammenfassen. Doch damit sind längst nicht alle Skandale benannt.
Zum unmittelbaren Versagen vor allem beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) kommt der Versuch, Unfähigkeit zu kaschieren und Akten zu manipulieren. Man kennt das. Es hat dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) das Morden so einfach gemacht. Die Parallelen zwischen den NSU-Terrorfällen und dem unverantwortlichen aktuellen Behördenhandeln sind evident. Man denke nur an die undurchsichtige Rolle von V-Leuten, an pannenreiche Observationen und das in beiden Fällen überdeutliche Schweigen des Verfassungsschutzes. Auch im »Fall Amri« geht es längst nicht mehr »nur« um das sogenannte Weihnachtsmarktattentat, bei dem der von islamistischem Hass geleitete Tunesier Anis Amri am 19. Dezember 2016 auf dem Berliner Breitscheidplatz mit einem gekaperten Lastwagen zwölf Menschen tötete und fast 70 weitere verletzte.
Man hat Amri, den erkannten Gefährder, an der langen Leine laufen lassen, obwohl man seine Kontakte zu Terroristen vom Islamischen Staat in Libyen kannte und den Inhalt der Nachrichten zumindest teilweise mitlesen konnte. Das hätte für einen Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gereicht. Doch der Generalbundesanwalt stellte ihn nicht aus. Hilfsweise hätten untergeordnete Staatsanwaltschaften einen Zugriff wegen Drogenhandels anordnen können. Auch das unterblieb. War das nur tölpelhaft oder folgte es einem Plan? Kann es sein, dass Amri bestimmten Diensten einfach als freier Mann mehr genützt hat? Wollte man durch Amri tiefer eindringen in das Terror-Franchise-Unternehmen namens Islamischer Staat? Man darf gespannt sein, was ein neuer Bundestagsuntersuchungsausschuss - hoffentlich - zusammentragen wird.
Eine ehrliche Analyse des Versagens darf nicht dabei stehenbleiben, dass es nun einmal keine hundertprozentige Sicherheit gibt. Auch der fortwährende Hinweis auf die Schwierigkeiten, die das in Deutschland übliche föderale System mit sich bringt, lenkt vom Wesentlichen ab. Ebenso sollte man jenen nicht glauben, die fortwährend nach neuen Kompetenzen rufen. Denn eigentlich gibt es die in vielfacher Weise. Beispiel GTAZ.
Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum wurde nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA eingerichtet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt, der Bundesnachrichtendienst, der Generalbundesanwalt, die Bundespolizei, das Zollkriminalamt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der Militärische Abschirmdienst, alle Landesämter für Verfassungsschutz und sämtliche Landeskriminalämter sind permanent verbunden, denn Erfolge in der Terrorismusbekämpfung liegen im Miteinander aller zuständigen Akteure. Deren Tun wird ergänzt durch flankierende Maßnahmen im Bereich des Ausländerrechts sowie durch eine auf langfristige Wirksamkeit angelegte Abstimmung präventiver und repressiver Maßnahmen. Zudem hat das Parlament seit 2001 immer wieder Gesetze geändert - ohne Rücksicht darauf, dass man so Bürgerrechte einengt und damit den Terroristen objektiv in die Hände arbeitet.
Jüngst hat die diesjährige Herbsttagung des Bundeskriminalamtes über die Zukunftsfähigkeit der deutschen Polizei debattiert. Betont wurde, man müsse sowohl Deutschland als auch Europa als gemeinsamen Gefahrenraum begreifen und die föderalen Stärken mit den Vorteilen zentraler Organisationen verbinden, gemeinsame Systeme und Standards aufbauen ohne den Bezug zum Lokalen und damit den so wichtigen Kontakt zu den Bürgern zu verlieren.
Es stimmt: Wir sind als moderne und weitgehend freie Gesellschaft angreifbar. Dieser Verwundbarkeit auf vielen Kriminalitätsfeldern müsse man sich bewusst sein und sie offen kommunizieren, sagte BKA-Chef Münch. Nur so könne man realistische Ansprüche »an uns selbst formulieren und an ihnen gemessen werden«. So schaffe man die Voraussetzung, um als »kompetent wahrgenommen zu werden« und Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden zu schaffen. Das ist viel verlangt angesichts der Pannen im »Fall Amri« und anderen. Vielleicht versucht man es ja erst einmal mit Transparenz und Ehrlichkeit.
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