Presseethisch ist »das Vorgehen der 'Bild'-Zeitung grenzwertig«

Anwalt zu G20-Fahndungsfotos in Medien: »Erhebliche Prangerwirkung«

  • Elisa Makowski
  • Lesedauer: 2 Min.

Berlin. Nach der Veröffentlichung von G20-Fahndungsfotos durch mehrere Medien sieht der Berliner Presseanwalt David Geßner eine mögliche »erhebliche Prangerwirkung« für die abgebildeten Personen. »Die Presse muss sich am öffentlichen Fahndungsaufruf der Polizei nicht bedingungslos beteiligen«, sagte Geßner dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Mittwoch. Zwar treffe der G20-Gipfel in Hamburg auf ein breites öffentliches Interesse. »Doch ob man Fotos von mutmaßlichen Straftätern abbildet, unterliegt immer einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der einen Seite und der Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der anderen Seite.«

Unter dem Titel »Ihr kommt nicht davon« veröffentlichte die »Bild«-Zeitung am Dienstag ausgewählte G20-Fahndungsfotos der Polizei. Damit sucht die Behörde nach mutmaßlichen Straftätern. Die Personen sollen sich laut »Bild«-Zeitung während des G20-Gipfels im Juli in Hamburg an Plünderungen und Randalen beteiligt haben. Bereits zuvor hatte die Sonderkommission »Schwarzer Block« der Polizei Hamburg über hundert Fotos von mutmaßlichen Straftätern veröffentlicht.

»Grundsätzlich gilt, dass eine Veröffentlichung von polizeilichen Fahndungsfotos in den Medien gerechtfertigt ist, wenn ein überwiegendes öffentliches Informationsinteresse an schweren Straftaten besteht oder wenn ein Fahndungsaufruf durch Ermittlungsbehörden erfolgt«, erläuterte Geßner. Bei schweren Straftaten wie schwerer Körperverletzung, Betrug oder Serienstraftaten stehe das Persönlichkeitsrecht in der Regel zurück. »Ob das Persönlichkeitsrecht im Einzelfall überwiegt, ist eine Wertungsfrage.«

»Aus presseethischer Perspektiv ist das Vorgehen der 'Bild'-Zeitung grenzwertig«, sagte Geßner. »Zudem wird der Pressekodex leider immer wieder mit Füßen getreten.« In der Richtlinie 8.1. des Pressekodex ist die Kriminalberichterstattung festgelegt. Darin heißt es: »An der Information über Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit.« Und weiter: »Die Presse veröffentlicht dabei Namen, Fotos und andere Angaben, durch die Verdächtige oder Täter identifizierbar werden könnten, nur dann, wenn das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit im Einzelfall die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen überwiegt.«

Schikane statt Strafaufklärung
Sebastian Bähr über die tendenziöse G20-Öffentlichkeitsfahndung

Im September sprach der Deutsche Presserat bereits eine Missbilligung gegen die »Bild«-Zeitung aus. Die »Bild«-Zeitung (Print- und Online-Ausgabe) hatte im Juli Einzelfotos von G20-Demonstranten in Aktion gezeigt und zur Fahndung aufgerufen. epd/nd

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!