Von den Hambachern lernen
Lorenz Gösta Beutin findet, dass sich Parlamentslinke einiges von der sozial-ökologischen Bewegung abschauen sollten
Wer sehen will, wie gelebte Gesellschaftskritik von links geht, der fahre in den Hambacher Forst. Fünf Jahre ist es her, dass 20 S-Bahn-Minuten vom Kölner Dom entfernt Menschen einen der ältesten Eichenwälder Europas besetzten. Jedenfalls das, was davon übrig geblieben ist. Sie bauen Baumhäuser, stellen sich Kettensägen und Polizei-Schlagstöcken entgegen. Junge Studentinnen, Männer, Jugendliche aus der Umgebung, aus anderen Ländern - ein bunter Haufen. Sie alle leisten Widerstand, wehren sich gegen die Rodungen durch den Energieriesen RWE, der den Kohleabbau im rheinischen Braunkohlerevier auf Gedeih und Verderben vorantreibt. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft.
Ganze Dörfer aus Baumhäusern versuchen unter widrigen Umständen ein solidarisches Miteinander zu leben. Transparente, Spruchbänder, Schilder verweisen auf antirassistische Praxis, Flüchtlingssolidarität, das Bewusstsein, Teil globaler, linker Kämpfe zu sein. Queer-feministische, antifaschistische, antimilitaristische, antikapitalistische und anarchistische Positionen finden sich überall im Wald. Klimademos, Tagebau-Besetzungen wie vom Aktionsbündnis »Ende Gelände«, die Klimaschäden-Klage eines Kleinbauers aus Peru gegen RWE - all das ist Sand, der das Räderwerk des Kapitalismus noch nicht zum Stillstand bringt, aber merklich knirschen lässt.
Liest man die Thesen zu den politischen Schwerpunkten der Linksfraktion im Bundestag der Vorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch, fällt eine butterweiche Unkonkretheit auf, die den harten Fragen von Sozialem und Ökologie nicht gerecht wird. Völlig unverbunden der Ruf nach neuen Industriearbeitsplätzen. Nur ein laues Lüftchen, sich »weiter für einen sozial-ökologischen Umbau« einzusetzen. Keine Aussage, wo die neuen Industriearbeitsplätze zu schaffen wären. Kein Wort, wie die Industrie der Zukunft aussieht, um den Ansprüchen an einen sozial-ökologischen Umbau gerecht zu werden. Wie stellen wir uns eine ökologische Verkehrswende vor? Wie fördern wir solidarische und genossenschaftliche Produktionsweisen in der Energiewende? Wie kann der Kohleausstieg gelingen, welche sozialen Ausgleichsmaßnahmen sind für die betroffenen Menschen und Regionen nötig? Wie können wir die Forderung nach (Klima-)Gerechtigkeit für den globalen Süden unterstützen, die auch auf dem letzten Klimagipfel wieder von Industriestaaten zurückgewiesen wurde? Fehlanzeige!
Die Strategie für die nächsten vier Jahre linker Opposition im Parlament ist ein Rückschritt hinter unser Wahlprogramm. Kernthemen der Linken, wie der Kampf gegen Hartz IV und friedenspolitische Positionen, werden gestutzt. Nicht mehr vom Abzug der Bundeswehr aus »Auslandseinsätzen« ist die Rede, sondern aus »Kampfeinsätzen«. Man möge sich den »Spaß« machen zu schauen, welche Einsätze die Bundesregierung als »Kampfeinsätze« definiert: Afghanistan zählt nicht dazu. Fordert die LINKE im Parlament etwa keinen Abzug der »Parlamentsarmee« vom Hindukusch?
Der Antimilitarismus der Waldleute ist dagegen kristallklar. Die Ablehnung jeder Rüstungsproduktion wird verbunden mit der Einsicht: »Krieg beginnt« hier. Wenig erstaunlich die Position vieler junger Waldbesetzer im Gespräch: Man würde Linkspartei wählen, warum nicht. Auch über einen Parteieintritt sei nachgedacht worden. Solange aber die LINKE nicht klar beim Thema Antirassismus sei, komme beides nicht in Frage. Die wiederholten Versuche einiger Verantwortungsträger*innen aus Partei und Fraktion, ans rassistische Ressentiment anzuknüpfen und »Biodeutsche« gegen Geflüchtete auszuspielen, Solidarität auf den nationalen Kontext zu begrenzen und so die Grundpositionen unseres Parteiprogramms öffentlich in Frage zu stellen, sprechen eine Sprache, die links denkende Menschen abschreckt.
Gerade jetzt, wo die Gesellschaft nach rechts rückt, ist es notwendig, dass sich die Linke im Parlament und in der Gesellschaft eindeutig positioniert. Als Kraft, die um Perspektiven für eine ganz andere Gesellschaft ringt. Von den Kämpfen um Klimagerechtigkeit, vom peruanischen Kleinbauern, von »Ende Gelände« oder den Menschen im Hambacher Forst können wir alle lernen, uns auf die Wurzeln linker Bewegung zu besinnen: grenzenlose Solidarität, widerständige Praxis und das Bewusstsein, dass die Kämpfe gegen jede Form von Herrschaft, für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen, untrennbar zusammengehören.
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