Malerei ohne Zuckerguss

Großes Format, visionäre Bilder: Eine Ausstellung in Wuppertal zeigt Werke von Édouard Manet

  • Siegfried Schmidtke
  • Lesedauer: 4 Min.

Vielen Kunsthistorikern gilt Édouard Manet nicht nur als einer der ganz Großen der modernen Malerei, sondern auch als Erfinder oder Begründer des Impressionismus - der sich von der »klassischen« Historienmalerei des 19. Jahrhunderts löste und einen neuen, modernen Malstil ins Leben rief. Doch Manet selbst fühlte sich nicht dem Impressionismus zugehörig. An keiner der acht Impressionisten-Ausstellungen seiner Zeit beteiligte er sich mit seinen Werken. Manet (1832 - 1883) wollte sich und seine Kunst bei den jährlich stattfindenden Salon-Ausstellungen in Paris einbringen. Der »Salon« war eine offizielle, vom französischen Staat veranstaltete Kunstschau. Eine strenge Jury entschied über Teilnahme oder Ausschluss. 14 Mal konnte Manet im »Salon« ausstellen, elf Mal wurde er abgelehnt (und der gefürchtete rote Stempelaufdruck »R« - für refusée, zurückgewiesen - markierte seine eingereichten Werke).

Die Einzelgänger-Haltung als Künstler hinderte Manet allerdings nicht daran, mit vielen Impressionisten wie Renoir, Degas, Sisley und Monet eng befreundet zu sein. Der stets nobel gekleidete Manet stammte aus einer großbürgerlichen Familie. Er pflegte ein Netzwerk von Beziehungen in der französischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Seine Gemälde liefern ein Stimmungsbild der damaligen gesellschaftlichen Ereignisse.

Gerhard Finckh, Direktor des Von-der-Heydt-Museums in Wuppertal und Kurator der jetzt eröffneten Manet-Ausstellung, wagt nach drei Jahren intensiver Vorbereitung eine, wie er es ausdrückt, »steile These«: »Manet malt demokratisch.« Als Befürworter der Republik und Gegner der Monarchie. Als Bürger für französische Bürger. Nicht für Adelige oder Monarchen - die mit König Ludwig Philipp I (1830 - 1848) und dann mit Kaiser Napoleon III (1852 - 1870) das Sagen in Frankreich hatten. Manet malte keine Herrscher- und Fürsten-Porträts, sondern porträtierte bürgerliche Zeitgenossen wie seine Künstler-Kollegin Berthe Morisot oder seine Ehefrau Suzanne Leenhoff.

Manet malte keine beschönigenden, mit, so Finckh, »Zuckerguss überzogenen« Gegenstände und Situationen, sondern real existierende Dinge und wirklichkeitsnahe Szenen des bürgerlichen Lebens: Ein Pferderennen in Longchamp, den Maskenball in der Oper, eine Krocketpartie oder ein Promenadenkonzert im Tuileriengarten. Exemplarisch weist Gerhard Finckh auf das gerade einmal postkartengroße Gemälde »Die Zitrone« hin: Anders als bei üblichen Stillleben ist hier die Frucht solo dargestellt, nicht in Idealgestalt und die Schale nicht hochglanzpoliert, sondern eher schrumpelig. Bio-Obst wie gewachsen, würde man heute vielleicht sagen. Finckh: »Das zeichnet Manet besonders aus: Er reduziert auf das Wesentliche. Er malt die Zitrone ohne irgendwelchen Schnickschnack, sachlich, nüchtern, direkt, ein gelbes Oval, fertig.«

Dieser wirklichkeitsnahe Malstil begeisterte und empörte gleichermaßen die Zeitgenossen Manets. Und führte nicht selten zu Skandalen, denen die Wuppertaler Ausstellung eine der elf Stationen der Werkschau widmet. Das weltberühmte »Frühstück im Grünen« zeigt zwei Frauen und zwei Männer bei einem Picknick im Park. Leicht bekleidet badet die eine Frau im Bach, die andere liegt splitternackt im Gras - während die beiden Männer mit Kopfbedeckung und nobel gekleidet auf dem Rasen liegen.

1863 ausgestellt, fand es die oben genannte zwiespältige Beachtung beim Publikum: Bewunderung oder Verdammung. Frankreichs Monarch, Kaiser Napoleon III, senkte schließlich den Daumen und entschied, dass das Bild das Schamgefühl verletze. Das ebenso berühmte Gemälde »Olympia« konnte Manet 1865 im Pariser »Salon« ausstellen. Es zeigt eine junge Frau, die sich nackt auf ihrem Bett räkelt und dem Betrachter in die Augen schaut. Eine bekleidete dunkelhäutige Frau mit frischer Wäsche für die Nackte wird vom dunklen Hintergrund fast verschluckt.

Nicht nur die pure Nacktheit erregte wieder die Gemüter. »Möglicherweise war es der direkte Blick der Prostituierten aus dem Bild heraus, der die distinguierten Herren mit ihren Zylindern, Gehröcken und Spazierstöcken, die den «Salon» - aber wohl auch Bordelle - besuchten, provozierte«, vermutete Manet-Biograf Antonin Proust (1832 - 1905) und vermerkte weiter: »Dass die Olympia nicht durchbohrt und in Stücke zerrissen wurde, ist nur den Vorsichtsmaßnahmen der Verwaltung des Salons von 1865 zu verdanken.«

Auch das Pariser Museum d’Orsay, in dem die beiden Skandalbilder heute hängen, ließ Vorsichtsmaßnahmen gelten und verweigerte die Ausleihe. Deshalb sind im Von-der-Heydt-Museum »nur« Reproduktionen dieser beiden Gemälde zu sehen. Was der Qualität der Ausstellung nicht schadet. Denn Direktor Finckh konnte 45 Gemälde Manets zusammentragen, mit Leihgaben aus aller Welt.

Nur 45 Bilder - das erscheint wenig. Manet schuf allerdings auch nur 450 Werke. Zum Vergleich: Monet malte über 2000 Bilder. Zehn Prozent des Lebenswerkes von Manet in Wuppertal, dazu Zeichnungen, Fotos und Schlüsselwerke der Freunde Manets - das kann sich sehen lassen.

»Édouard Manet«, bis zum 25. Februar im Von-der-Heydt-Museum, Turmhof 8, Wuppertal

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