Irrer Alltag
Angsthasen X
Angst war ursprünglich mal als Ausnahmezustand gedacht, den der menschliche Körper verspürt, um bei akuter Bedrohung für Leib und Leben ungeahnte Kräfte zu entwickeln und so der Gefahr zu entkommen. Leider gehören manche von uns zu den Opfern der Postmoderne, die irgendwann einen Knacks wegbekommen haben, sodass die Ausnahme quasi zum Dauerzustand wurde. Irgendetwas hat sich da verschoben, mein Instinkt scheint keinerlei Realitätssinn zu besitzen.
Schon während ich über meine Ängste nachdenke, um eine Auswahl für diesen Artikel zu treffen, fangen meine Hände an zu schwitzen. Wie neulich, als ich bei der Onlinebuchung von Flugtickets für den lang ersehnten Urlaub auf »Bestätigen« klickte. Mir wurde schon vorm Laptop ein bisschen schwindelig, der Brustkorb zog sich zusammen. Überlegen Sie, was erst passiert, wenn ich in sechs Monaten in das Flugzeug steige!
Ich habe panische Angst vor Spritzen und vor allen Ärzten und Krankenhäusern im Generellen. Am liebsten würde ich zur Zahnsteinentfernung meine Mutter mitnehmen.
In der U-Bahn steht mir regelmäßig der Schweiß auf der Stirn - zu viele Leute, zu stickig, zu eng, und warum guckt der Typ da hinten so irre? Panik. Oben vor dem Bahnhof dann ein Krankenwagen - oh Gott, bloß nicht hingucken. Panik. Doch meine Fantasie bietet Stoff genug, ich falle beinahe in Ohnmacht. Fast wie damals, als ich im Fahrstuhl des Berliner Fernsehturms realisierte, dass ich, oben angekommen, würde nach unten schauen müssen.
Sie merken, statt Extremzustand ist die Angst bei manchen Geplagten Alltag - gemessen an den schier unendlichen Regalmetern Lektüre zur Selbsthilfe zum Thema Angst und Panik sind das in unserer heutigen Gesellschaft wohl viele. Aber machen Sie sich um mich keine Sorgen. Heute Morgen habe ich völlig unerschrocken, mit Kopfhörern auf den Ohren und quasi blind, weil aufs Handy starrend, eine viel befahrene Straße überquert. Von Angst keine Spur.
Maria Jordan
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.