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Einfach mal eingreifen

Konservative Politiker haben sich nicht immer vor sozialer Umverteilung gefürchtet.

Eigentlich ist die Zeit überreif für eine massive Umverteilung des Wohlstands in den Industrieländern. Der Reichtum ist in den vergangenen Jahrzehnten enorm gewachsen. Allerdings ist er innerhalb der Länder zunehmend ungleich verteilt. Darauf weisen Forscher seit Jahren immer wieder hin.

Für Deutschland bedeutet das zum Beispiel: Die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung konnten sich zuletzt weniger leisten als kurz nach der Wende. Ihr verfügbares Einkommen, zu dem Sozialleistungen, Renten und Nettolöhne gehören, ist zwischen 1991 und 2014 inflationsbereinigt um acht Prozent gesunken. Die reichsten zehn Prozent der Bürger verfügten hingegen zuletzt über rund 27 Prozent höhere Einkünfte als 1991, berichtet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung.

Inzwischen warnt selbst der Internationale Währungsfonds vor »exzessiver Ungleichheit« und denkt über Steuererhöhungen und ein Grundeinkommen nach. Doch konservative Regierungen wollen die Signale nicht hören. Statt auf sozialen Ausgleich setzen sie in vielen Ländern auf Nationalismus. Nicht das Wohlstandsgefälle innerhalb der Gesellschaft ist in dieser Ideologie das Problem, das Böse kommt vielmehr von außen, in Gestalt der EU und der Migranten.

Auch in Deutschland neigen konservative - und andere - Politiker dazu, Flüchtlinge zum Hauptproblem zu erklären. Über Verteilungspolitik mag die seit 2005 regierende CDU nicht reden. »Wir setzen nicht auf Umverteilung, wir wollen Wohlstand für alle«, sagt CDU-Vizechefin Julia Klöckner. Damit fällt sie hinter den Erkenntnisstand der CDU Mitte der 1950er Jahre zurück. Die CDU hat nämlich durchaus schon mit Umverteilung experimentiert, und zwar erfolgreich. Das zeigen drei Beispiele.

Soli für Flüchtlinge

Innerhalb weniger Monate fliehen Hunderttausende Menschen nach Deutschland, am Ende kommen allein nach Westdeutschland acht bis zehn Millionen Flüchtlinge und Vertriebene, insgesamt sind es bis zu 14 Millionen. Sie haben keine Arbeit, keine Wohnung. Viele werden in Privatwohnungen einquartiert, oft gegen den Widerstand der Einheimischen. Die Neuankömmlinge werden als »Flüchtlingsschweine« und »Polacken« beschimpft und schlagen sich zunächst irgendwie durch, arbeiten in Haushalten oder auf Bauernhöfen.

Einige Jahre nach ihrer Ankunft, 1952, beschließt der Bundestag finanzielle Hilfen für die Flüchtlinge: Vermögende in Westdeutschland - etwa Immobilienbesitzer, Kapitalgesellschaften und Stiftungen - müssen eine Vermögensabgabe entrichten. Nach Abzug diverser Freibeträge beträgt sie 50 Prozent des Vermögenswerts zum Zeitpunkt der Währungsreform, zu zahlen in kleinen Raten über einen Zeitraum von maximal 30 Jahren. Das Geld kommt insbesondere Flüchtlingen und Vertriebenen zugute: Menschen aus ehemals deutschen Ostgebieten oder Angehörigen deutscher Minderheiten aus osteuropäischen Ländern, die nach dem Ende der barbarischen Besatzungspolitik der Nazis ihre Heimat verlassen mussten. Mit den Mitteln sollen kleine Vermögensverluste ganz, große teilweise ersetzt werden.

Das sogenannte Lastenausgleichsgesetz ist umstritten. Der SPD schwebten Sozialleistungen vor, mit denen einfache Arbeiter ebenso unterstützt werden wie pommersche Gutsbesitzer, heißt es in einem Rückblick auf das Gesetz im Deutschlandfunk. Die CDU lehnt das ab und beschließt am Ende mit ihrer Mehrheit das Lastenausgleichsgesetz.

Trotz aller Schwächen war der Lastenausgleich eine Umverteilung zugunsten der Flüchtlinge. Für den Wirtschaftsforscher Gustav Horn lehrt diese historische Erfahrung, dass die Integration von Flüchtlingen möglich ist - wenn sie gewollt ist. »Die Verhältnisse sind heute ungleich besser als damals«, betont er. Und: 2015 kamen nicht 14 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland, sondern knapp eine Million Menschen.

Wohlstand auch für Alte

1949 wird Ludwig Erhard Wirtschaftsminister und setzt eine Politik durch, die der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser ein »großes Experiment« nennt: »Erhard war überzeugt, dass man den Sozialstaat abschaffen kann, wenn es eine funktionsfähige, wettbewerbsfähige Wirtschaft gibt.« Der Staat sollte diese Wettbewerbswirtschaft durch Ordnungspolitik sicherstellen, etwa durch freien Marktzugang, mehr nicht. Ziel war es, durch mehr Wettbewerb eine gleichmäßigere Verteilung der Einkommen zu erreichen. Doch das wird durch Erhards Konzept einer »Sozialen Marktwirtschaft« nicht erreicht, betont Abelshauser.

Gerade alte Menschen leben in den 1950er Jahren oft am Existenzminimum, denn die gesetzlichen Renten sind winzig. Gegen den Widerstand von Erhard setzt Konrad Adenauer daher 1957 eine große Reform durch: Rentner sollen künftig am wachsenden Wohlstand teilhaben, ihre Altersbezüge sollen den Lebensstandard sichern. Die Renten werden an die Lohnentwicklung gekoppelt und finanziert über Beiträge, die Beschäftigte und Unternehmer zahlen.

Dieses System funktioniert über Jahrzehnte ohne große Störungen. Erst in den 1990er Jahren beginnt die Politik mit Sparprogrammen. Die Folge: Heute droht vielen Menschen wieder Armut im Alter. Dabei wäre es kein Problem, das Rentenniveau zu halten, sagt Abelshauser. Oft werde übersehen, dass die Produktivität steigt. Deswegen sei es möglich, dass weniger Beschäftigte zusammen mit Unternehmen Rentenbeiträge zahlen, ohne dass diese zur Last werden.

Sündhafte Sozialpolitik

In den vergangenen 30 Jahren hat die Politik in Deutschland und anderswo den Kapitalismus entfesselt: Firmen privatisiert, Steuern gesenkt, Arbeitsmärkte dereguliert. Das neoliberale Credo lautet: Wenn sich die Marktkräfte entfalten, profitieren alle. Die Marktkräfte haben sich entfaltet. Hervorgebracht haben sie jedoch wachsende Ungleichheit.

Dennoch verfolgt die Bundesregierung auf EU-Ebene bis heute diesen Kurs und hat zusammen mit der EU-Kommission Südeuropa eine harte Sparpolitik aufgezwungen.

Im eigenen Land hat die schwarz-rote Koalition nach der Finanzkrise 2008 allerdings bei Bedarf auf neoliberale Glaubenssätze gepfiffen: Sie hat milliardenschwere Konjunkturpakete beschlossen und mit Kurzarbeitergeld dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit nicht gestiegen ist. Diese anti-neoliberale Strategie war überaus erfolgreich. »Sie ist der Hauptgrund, warum Deutschland heute besser dasteht als andere Euroländer«, sagt der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister.

Später hat die Koalition mit dem Mindestlohn ins Marktgeschehen eingegriffen. Auch dieser neoliberale Sündenfall war erfolgreich. Millionen Geringverdiener haben jetzt höhere Löhne, die vorhergesagten massenhaften Jobverluste sind ausgeblieben.

Von der neoliberalen Ideologie haben sich Bundesregierung und EU trotzdem nicht verabschiedet. Dies zeigt sich etwa daran, dass es in der EU zwar harte Defizitkriterien gibt, aber keine harten Ziele zur Beschäftigung oder zum Sozialschutz, sagt Schulmeister. Für ihn steht fest, dass ein soziales Europa nur möglich ist, wenn die Politik ihren Glauben an die selig machende Wirkung der Marktkräfte aufgibt die Sache selbst in die Hand nimmt.

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