Mehr Platz und Holzsitze für die Hygiene
Bremer debattieren über ihre neue Straßenbahn
Wenn es so läuft, wie alle Beteiligten sich das vorstellen, hat das kleinste deutsche Bundesland in gut einem Jahr dank »Avenio« rollende Gemeinsamkeiten mit den Hauptstädten Katars und Bayerns sowie dem Regierungssitz der Niederlande. »Avenio« ist der Name eines neuen Straßenbahntyps, von dem Bremen 67 Stück geordert hat. Ab Frühjahr 2018 sollen sie auf dem rund 110 Kilometer langen Straßenbahnnetz der Wesermetropole für mehr Fahrkomfort, mehr Sicherheit und Variabilität sorgen.
Bisher haben allein die Ankündigung und die Information über die Ausstattung schon etwas für Bremen Ungewöhnliches erreicht: Sich völlig fremde Passagiere in Bremer Straßenbahnen beginnen ohne dringenden Grund ein Gespräch miteinander und diskutieren die Vor- und Nachteile der noch gar nicht gebauten Bahnen.
Hoffnungen setzt die Bremer Straßenbahn AG (BSAG), die zu über 99 Prozent der Stadtgemeinde Bremen gehört, zudem auf das neue Konzept mit fünf großen Multifunktionsflächen und dem durchgehenden Mittelgang ohne Höhenunterschiede. So soll das gesamte gesellschaftliche Klima in den Bahnen verbessert werden. Das leidet nämlich zurzeit stark unter dem allgegenwärtigen Problem der Raumknappheit. Zunehmend kommt es zu Auseinandersetzungen unter Passagiergruppen, die sich gegenseitig den knappen Platz streitig machen.
In der Fahrradstadt Bremen, die sich über 30 Kilometer an der Weser entlang streckt, steigen zudem nicht wenige Radler bei Regen kurzerhand mit Vehikel in die Straßenbahn. Dazu kommt der Babyboom, den die Hansestadt gerade erlebt. Kürzlich kam es gar zu einer Schlägerei unter Müttern, weil nur vier mit Kinderwagen in die Bahn passten, aber fünf einsteigen wollten. Zunehmend fahren Kleinkindgruppen in Bollerwagen der Neuzeit mit: robuste vierrädrige Gefährte, in denen bis zu acht Knirpse Platz finden.
Auch Postboten nutzen mit ihren großen Brief-Handwagen die Straßenbahnen. Und dann nimmt die Zahl der Bürger zu, die aus Überzeugung oder Geldknappheit kein Auto haben und deshalb Schränke, Regale oder ihre Umzugskartons oder Baumarkteinkäufe in der Straßenbahn transportieren. Auch Rollstuhlfahrer und Menschen mit Gehwagen brauchen extra Platz.
Die fünf Mehrzweckflächen, jeweils direkt neben einer Tür, sind mit Klappsitzen ausgestattet und so groß, dass es zu keinen Engpässen mehr kommen wird. Das jedenfalls meint man bei der BSAG. Doch diskutiert wird auch über die Holzsitze, die es an verschiedenen Stellen in den Bahnen geben soll. Angeblich wird damit ein häufig geäußerter Kundschaftswunsch erfüllt. Es zeigt sich jedoch, dass die Gemeinde in dieser Frage gespalten ist. Den nostalgischen Aspekt bei den Holzsitzen akzeptieren beide Seiten. Die Befürworter unterstreichen zudem mehr die größere Sauberkeit und die leichtere Reinigung der Sitze. Die Gegner beklagen vornehmlich die zu erwartende geringere Bequemlichkeit wegen der harten Sitzschalen. Die BSAG wiederum betont zudem, dass es die Arbeit der Reinigungskräfte enorm erleichtert, wenn die Sitze nicht mit Stoff bezogen sind.
Zwar sind in den Reihen der Holzsitz-Liebhaber die Vorteile von Stoffsitzen - Wärme und Weichheit - sehr wohl bekannt, aber es wird typisch bremisch argumentiert. Klar, Holz sei nicht so weich, warf kürzlich eine ältere Dame in die temporäre Diskussionsrunde - aber so lange Fahrten mache sie ja gar nicht, dass es ihrem Allerwertesten schaden könnte.
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