- Politik
- Ideologie der AfD
Den Volkstanz üben
Die AfD und der Traum von der Machtergreifung
Wie eine heimtückische Krankheit breiten sich in Europa faschistische Bewegungen und Parteien aus, die Fremde verfolgen und das eigene Land in ein undurchlässiges Völkergefängnis für laborgeprüfte Eingeborene verwandeln wollen. »Sind wir hier jetzt germanischen Ursprungs, oder haben wir hier wischiwaschi schon alles weichgespült?«, fragt Beatrix von Storch (AfD) dümmlich. Der Nachweis von »zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern« genüge, meint Jura-Professor Ralph Weber, der für die AfD im Schweriner Landtag sitzt. Die Epoche der Klassenkämpfe, in der es um die Verbesserung der Lebensverhältnisse, um Solidarität und Humanismus ging, wird verdrängt von der Epoche der falschen Identitäten (Heimat, Vaterland, Arier) und Kälte. Soll keiner sagen, er habe nicht mitbekommen, dass Asylunterkünfte brennen, Tausende »Merkel an den Galgen!« raunen, Frauke Petry an den Grenzen »von der Schusswaffe Gebrauch« machen und von Storch »auch Frauen mit Kindern mit Waffengewalt am Übertritt« hindern will, dass Alexander Gauland »stolz auf die Leistungen deutscher Soldaten« ist, die bekanntlich Menschen ermordet, versklavt und verbrannt haben, und Aydan Özoguz »in Anatolien entsorgen« will. Früher wurden Juden »entsorgt«.
Die sozialnationale Volksgemeinschaft
Auf dem AfD-Parteitag in Hannover schienen alle versammelt zu sein, die schon die Weimarer Republik in den Abgrund gestürzt hatten. Wie Mumien mit Rederecht. Bürgerliche Nationalisten, der Militäradel, Sozialnationale, Nationalliberale und andere Schlossgeister. Der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski, ein »Gemäßigter«, bewarb sich für den Vorsitz: »41 Jahre Soldat, Oberst im Generalstabsdienst, zwei Kinder, die wohlgeraten sind, vier Enkel ...« Er hat dem Vaterland doppelt gedient, in der Armee und bei der Vermehrung, konnte sich aber nicht durchsetzen. Ihm wurde übel genommen, dass er nicht rechtzeitig von der Nato zu Putins Regime gewechselt war und dass er mitregieren wollte, statt die Machtergreifung abzuwarten.
Seine Kontrahentin Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein vom sozialnationalen Höcke-Flügel brachte den Saal zum Kochen. Sie schwor auf Bismarck und den Zaren, wollte erst dann an die Macht, »wenn die anderen bei uns um Koalitionsgespräche betteln«, und stellte sich an die Seite derer, »die vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil sie den Volkstanz üben, eine besondere Heimatliebe an den Tag legen«. Der Saal hatte die Metaphern verstanden. Das Betteln der Parteien meint, die bürgerliche Demokratie in die Knie zu zwingen, der »Volkstanz« steht fürs völkische Erwachen, die »Heimatliebe« für die Vertreibung der Nicht-Deutschen und »beobachtete Gruppen« sind Identitäre und andere Nazis. Der Saal träumte von der Machtergreifung. Nur eine Stimme mehr und Sayn-Wittgenstein wäre AfD-Vorsitzende geworden.
Der stellvertretende Vorsitzende Kay Gottschalk, ebenfalls ein Sozialnationaler, steckte den neuen Kurs ab, der mit Euro und Moslems nur in zweiter Linie zu tun hat. Die AfD sei »Volksanwalt« an der Seite derer, »die Werte schaffen«. Sie wolle den Mindestlohn erhöhen, Leiharbeit verbieten, die »Volksrente für alle« durchsetzen, im Kampf gegen die »verschissene EU« und für die Nationen, die nur noch »Wurmfortsätze global agierender Konzerne« seien. Wie bei der »Titanic« machten die einen die Drecksarbeit unter Deck, während »linksliberale Medien und Kartellparteien« auf dem »Sonnendeck« säßen. Eine Anspielung auf reiche Juden? André Poggenburg betont »große Schnittmengen ins linke Spektrum hinein«. Der Höcke-Flügel, der den Parteitag dominierte, strebt eine sozialnationale Volksgemeinschaft an. Die AfD soll irgendwann allein, anstelle der SPD und der Linkspartei, mit dem konservativen Block um die Macht ringen. Zu diesem Zweck muss das Proletariat mit einer bei den Nazis geborgten »sozialistischen« Demagogie geködert werden. Der Konzern Siemens entziehe »sich der patriotischen Pflicht« (Höcke), auf einer Demonstration gegen die geplante Schließung des Siemens-Werkes in Görlitz sprach im November der AfD-Bundestagsabgeordnete Tino Chrupalla, eine Initiative »Werde Betriebsrat!« wurde ins Leben gerufen.
Der Aufstieg und die Beschwichtigung
Der Faschismus setzt auf die Kooperation mit Massen und wird, wenn ihm die Machtergreifung gelingt, die Parteielite, die Wirtschaft, das Militär und die Beamten begünstigen und dem »Volk« nur die Befriedigung primitiver emotionaler Bedürfnisse anbieten, die seine Propaganda vorher geweckt hat: Heimat, Vaterland, Ehre, Tod. Man kennt das. Trotzdem scheinen viele darauf reinzufallen. Ein Fünftel der Erwerbstätigen wählt heute die AfD, in Ostdeutschland ist sie zweitstärkste Kraft hinter der Union. Warum? Eine wesentliche Ursache ist die vom Gesellschaftssystem selbst erzeugte Verrohung, die sich etwa darin spiegelt, dass zwei Drittel der Deutschen den Familiennachzug für Flüchtlinge ablehnen. Sie wenden sich gegen die niedrigste Stufe der Humanität, die Familienzusammenkunft.
Die soziale Kälte entspringt dem Marktsystem, das Menschen von Kindesbeinen an aufsaugen. Der Markt selektiert in freier Konkurrenz der Kräfte Sieger und Verlierer und belohnt allein den Sieg. Zum anderen wird der Mensch, der jeden Morgen in die Betriebsdiktatur geht, wo er unter Aufsicht und technischer Steuerung Tag für Tag dasselbe erledigt, um sein Leben betrogen und sucht, wenn er seine Lage nicht vernünftig reflektiert, nach Objekten, an denen er sich schadlos halten kann. An dieser Stelle suggerieren Rechte, sie seien nicht Opfer der alltäglichen Ausbeutung und Zwänge, sondern Opfer fremder Machenschaften: Globalisierung, Einwanderer, Moslems, EU, Euro etc.
Sebastian Haffner bezeichnete Nazis mal als Menschen mit einem »psychischen Defizit (...). Seelisch unterentwickelt und verkümmert sind sie eine bedrohliche Macht, die, wenn sie sich voll entfaltet hat, nur schwer gezügelt werden kann.« Daraus folgt, dass man sie schroff in die Schranken zu weisen und am Handeln zu hindern hat.
Doch genau das Gegenteil passiert. Eine Heerschar von Politologen, Philosophen, Journalisten und anderen Intellektuellen, die den Anschluss an die neue Zeit nicht verpassen wollen, beschuldigen ausgerechnet Linke, den Pegidas und Faschisten nicht genug Aufmerksamkeit zu schenken. Giovanni di Lorenzo (»Die Zeit«) beklagt »diese Art, Menschen zu verachten, die einfach nur Freude an (...) Bernhard Brink haben«. Der Grüne Robert Habeck will »Heimat, Halt, Sicherheit mitdenken für Menschen, die sich wegen der Globalisierung heimatlos« fühlten. Ein Appell an die Engstirnigkeit und ein Freundschaftsgruß an die AfD. Die »FAZ« will der AfD im Bundestag »eine gewisse Ernsthaftigkeit in der Sacharbeit nicht absprechen«. Deren Redner Gottfried Curio hatte »die Aktivierung der Geburtenrate« gefordert, »statt das eigene Volk auszutauschen«. »UN-Ideologen« würden »mittels Massenmigration gewachsene Nationalstaaten auflösen« und »das deutsche Volk durch Fremdstaatler aller Kulturen« entmündigen. Was ist sachlich am Verfolgungswahn?
Für den Bestsellerautor und »Philosophen« Richard David Precht sind AfD-Anhänger harmlose Nachbarn, die leben wollten wie in »alten Heinz-Erhardt-Filmen. Da, wo alles so dick und gemütlich und wundersam unschuldig war. Ein behaglich schmunzelndes Wohlfühl-Land.« Brennen deshalb Asylunterkünfte? Auf »Spiegel Online« kritisiert Sibylle Berg »die Dummheit der selbstgerechten Linken« und empfiehlt den »Dialog« mit Rechtsradikalen. Man solle doch »einfach mal nett mit ihnen plaudern. Ein Versuch lohnt sich.« Worüber plaudert man freundlich mit Leuten, die Flüchtlinge an der Grenze abknallen und das Blut untersuchen wollen?
Linke Einfallstore
Auch Linke sollten Theorien und Flugblätter überprüfen. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine betonen immer wieder die »Lasten der Zuwanderung« für kleine Leute und machen auf diese Weise Flüchtlinge zum Sündenbock. Schon der geringste Gedanke an Befreiung, Solidarität und Humanität stirbt ab ohne den solidarischen Schutz für rassistisch Verfolgte. Zu nennen wäre die falsche Globalisierungsthese, die Kriege, Eroberungen und Krisen nicht dem Kapitalismus und dem Mehrwertraub der Nationen zuschreibt, sondern irgendeiner kosmopolitanen Erscheinung. Linke wie AfD wollen die Nationen vor der Globalisierung und der EU retten. Wenn das Globale böse ist, werden Heimat, Volksstamm und Nation automatisch gut. Nationalismus ist aber die Selbstaufgabe des Individuums für einen fremden, vermeintlich höheren Zweck. Ein weiteres Einfallstor ist die seit Jahrzehnten vorgenommene Trennung des Kapitalismus in einen produktiven und einen parasitären finanziellen Sektor. Das ist wissenschaftlich falsch, übernimmt die antisemitisch konnotierte Propaganda vom »schaffenden« und »raffenden Kapital« und beschönigt das Elend in der Frühschicht bei VW.
Heute käme es vor allem auf den praktizierten Humanismus an, der die Barbarei stoppt, die sich mit den Völkischen ausbreitet, und auf die Rückkehr zur Aufklärung. Erster Schritt: In den letzten hundert Jahren kamen 30 Millionen Einwanderer aus Polen, dem »Osten« Europas, aus Südeuropa, Afrika und der übrigen Welt nach Deutschland. Na und?
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.