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Alles Schokolade?

AfD will Stresemann

Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte«, heißt es im Prolog zu Schillers »Wallenstein«. Das trifft auch auf Gustav Stresemann zu. Nach ihm will die AfD die von ihr angestrebte parteinahe Stiftung benennen. Parteichef Gauland sieht dessen Erbe in seiner rechtskonservativen Truppe gut aufgehoben.

Woraufhin sich die FDP empört, die indes 1958 ihrer Stiftung den Namen des politisierenden Theologen Friedrich Naumann gab. Vize Kubicki klagte in der »FAZ«: »Es ist nicht nur makaber, sondern vor allem geschichtslos, den Friedensnobelpreisträger Gustav Stresemann zum Namensgeber für eine AfD-nahe Stiftung zu machen.« Ebenso sind die Enkel des rechtsliberalen 100-Tage-Reichskanzlers der Weimarer Republik (1923) not amused. Dabei ist Gaulands Wahl durchaus nachvollziehbar. Ein cleverer Gauner hat Stresemanns Vita studiert.

Der Sohn eines Biergroßhändlers war als Student der Nationalökonomie ein strammer Burschenschaftler der »Neo-Germania«. Vom Syndikus der Deutschen Schokoladenfabrikanten zum Vorstandsmitglied des Bundes Deutscher Industrieller aufgestiegen, war Stresemann 1914 einer der schlimmsten Kriegsdemagogen und zog bis zuletzt rigoros gegen »Pessimisten« und »Defätisten« zu Felde, würde also gut zur schokobraunen AfD passen.

Mit der im Versailler Friedensvertrag fixierten Beschneidung deutscher Militärmacht, der Abtretung deutscher Gebiete im Osten und der Gründung des polnischen Staates fand er sich zeitlebens nicht ab. Als Kanzler verantwortete er die Reichsexekution 1923 gegen Sachsen und Thüringen, ließ die Reichswehr die dort demokratisch gewählten linken Koalitionsregierungen von SPD und KPD brutalst zerschlagen. Hernach wurde er zwar per Misstrauensvotum gestürzt, aber erklecklich (und folgenreich) mit dem Posten des Außenministers abgefunden.

Ein lupenreiner Demokrat war Stresemann nie. Wohl aber setzte sich der Mitbegründer der Deutschen Volkspartei (DVP), Interessenvertreterin der Großindustrie, als oberster Diplomat und noch unter dem Eindruck der ernüchternden deutschen Kriegsniederlage 1918 sowie der ihn und seinesgleichen aufschreckenden Novemberrevolution für eine Realpolitik nach außen ein. Ohne das Ziel eines politisch, ökonomisch und militärisch starken Deutschlands mit erneuter Führungsambition aus dem Auge zu verlieren. Dem diente ein umfangreiches Vertragswerk, zu dem der Dawes-Plan (Erleichterung deutscher Reparationslast) und die Abkommen von Locarno gehörten, in denen Deutschland auf Elsass-Lothringen verzichtete und die Westgrenzen akzeptierte, ebenso wie der Beitritt zum Völkerbund.

Nach Aussöhnung mit dem Westen wandte sich Stresemann gen Osten, schloss einen Freundschafts- und Neutralitätsvertrag mit der UdSSR ab. Ein Jahr vor seinem Tod war er am Zustandekommen des Briand-Kellogg-Pakts beteiligt, der den »Verzicht auf den Krieg als Werkzeug der Politik« kodifizierte. Insofern wäre eine AfD-Stiftung seines Namens eine Vergewaltigung der Person. Was jedoch mehr noch für die von anderen in der völkischem Ungeist frönenden Partei als Stiftungspatronen erwogenen Humanisten Johann Gottfried von Herder und Erasmus von Rotterdam gilt.

Bild: Bundesarchiv / CC BY-SA 3.0 DE

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