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Mehr oder weniger

Die Wahlarbeitszeiten bei Trumpf werden von Mitarbeitern geschätzt, als Vorbild taugen sie trotzdem nur bedingt

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 5 Min.
Wie oft hat Renate Luksa schon die mögliche kürzere Arbeitszeit ihres Arbeitgebers Trumpf in Anspruch genommen? »Noch nie«, sagt die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats und fügt lachend hinzu: »Aber ich bin gut in der Beratung.« Trumpf – der Name dieses schwäbischen Unternehmens fällt stets, wenn es um flexible Arbeitszeitmodelle geht. Bei der Werkzeugmaschinen- und Lasertechnikfirma mit Stammsitz in Ditzingen bei Stuttgart arbeiten weltweit 11 000 Männer und Frauen, 6000 davon in Deutschland. In den meisten deutschen Standorten können die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten ungewöhnlich flexibel handhaben.

»Bündnis für Arbeit« heißt das in der Firma. Diese Bündnisse zwischen Betriebsrat und Geschäftsführung gibt es seit 1997. »Der Kerngedanke besteht im Ausbau und der Sicherung des Standortes durch die vereinbarte Senkung der Arbeitskosten und die Zusage der Geschäftsführung, in Krisenzeiten auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten«, heißt es in einer Broschüre des Unternehmens.

Beschäftigte können bei Trumpf alle zwei Jahre ihre Arbeitszeit wählen. Zwischen 15 und 40 Wochenstunden ist alles möglich, nach zwei Jahren kann auf die Vertragsarbeitszeit zurückgekehrt werden, oder es gibt eine neue andere Arbeitszeit. »Das funktioniert in der Regel gut«, sagt Betriebsratschefin Luksa. An den Standorten Ditzingen und Hettingen mit gesamt 3700 Mitarbeitern gebe es für die Jahre 2018/2019 aktuell 989 Anträge auf Arbeitszeitveränderung. 60 Prozent wollten mehr arbeiten (und verdienen) als vertraglich vorgesehen, 40 Prozent reduzieren, schätzt Luksa. Ein Grund: »Wir haben gerade viele Geschäfte.« Sie glaubt, dass es deswegen in diesem Jahr auch Ablehnungen bei den Anträgen auf kürzere Arbeitszeit geben wird. Gerade in der Produktion und Montage würden die Mitarbeiter schließlich gebraucht.

Außerdem können Beschäftigte auf ihrem Trumpf-Familien- und Weiterbildungszeit-Konto Geld für Zeit ansparen: Vom Bruttogehalt lässt man beispielsweise wöchentlich 20 Prozent oder zehn Stunden abbuchen, auch Weihnachts- und Urlaubsgeld können einfließen, und wenn man genügend zusammen hat, macht man ein halbes Jahr frei, bekommt aber weiterhin Geld. Diese Möglichkeit werde zunehmend angenommen, so Luksa.

»Anfangs gab es vielleicht 60, inzwischen wurden rund 300 solcher Konten eröffnet.« Bedingung sei nur, dass die angesammelte Zeit vor dem Renteneintritt genommen wird. Die Möglichkeit, Weihnachts- und Urlaubsgeld für Freizeit anzusparen, sei gerade für untere Entgeltgruppen wichtig, unterstreicht Luksa. »Denn von ihrem normalen Gehalt können die ja meistens nichts ansparen.« Das Problem haben bei Trumpf allerdings offenbar nicht so viele Beschäftigte – die durchschnittliche Eingruppierung liegt laut Luksa bei EG 11, das sind laut Tarifvertrag inklusive Leistungszulage um die 4600 Euro.

Dann gibt es bei Trumpf noch eine betriebliche Altersvorsorge, die sich ebenfalls auf die Arbeitszeit auswirkt: Trumpf-Beschäftigte können wöchentlich ein oder zwei Stunden mehr arbeiten, der Lohn dafür fließt in die Altersvorsorge, der Arbeitgeber bezuschusst einen Teil der Altersversorgung mit 12,5 Prozent und verzinst den Gesamtbetrag mit 3,1 Prozent pro Jahr. Daran nähmen 84 Prozent der Beschäftigten teil, sagt Luksa. »Ist ja auch eine tolle Regelung«, findet sie.

Der Anstoß zu all diesen Bündnissen für Arbeit kommt bei Trumpf in der Regel von oben, also von der Geschäftsführung. Die Beschäftigten zahlen dafür: 70 Überstunden pro Jahr müssen sie gratis leisten. So verwundert es nicht, dass insgesamt die Arbeitszeit bei Trumpf eher hoch ist. Mit der 35-Stunden-Woche des Tarifvertrages hat das nicht mehr viel zu tun. »Das stimmt. Wir finden das auch nicht wirklich gut«, sagt Martin Röll, stellvertretender Geschäftsführer der IG Metall Stuttgart und Mitglied des Aufsichtsrates von Trumpf. Vor allem die 70 Gratis-Stunden pro Jahr seien nicht mehr zeitgemäß. Röll: »Das kommt aus den 90er Jahren, als Belegschaften für Beschäftigungssicherung Zugeständnisse gemacht haben. Heute haben wir eine ganz andere wirtschaftliche Lage.« In der Branche boome es schließlich. »Da gibt es keinen Grund, dass Leute umsonst arbeiten sollen.« Die betriebliche Altersvorsorge hält der Gewerkschafter dagegen für ganz okay, auch wenn die 12,5 Prozent des Unternehmens eigentlich kein Zuschuss seien. »Das ist die Hälfte des Überstundenzuschlags, der eigentlich für die Zusatzstunden fällig wäre.«

Die Beschäftigten jedenfalls scheinen mit der Regelung zur Wahlarbeitszeit sehr zufrieden zu sein, und die Trumpf-Geschäftsführung wirbt damit. Das macht auch die Aesculap AG, ein Medizintechnikhersteller aus Tuttlingen im östlichen Schwarzwald mit 3500 Mitarbeitern. Sie hat vor einem Jahr stolz ein ähnliches Modell zur individualisierten Arbeitszeit verkündet. Warum aber gibt es nicht mehr Unternehmen mit derartigen Regelungen?
Es gebe doch sehr viele Arbeitszeitmodelle, sagt Volker Steinmaier, Sprecher von Südwestmetall. »Unsere Mitgliedsfirmen haben Hunderte Modelle.« Wo es möglich sei, gehe man auf Wünsche der Arbeitnehmer ein.

Aber, so Steinmaier: »Bei der Arbeitszeit fehlt ein Korridor nach oben. Und man braucht einen Betriebsrat, der mitmacht.« Zudem müsse klar sein, dass Arbeitszeitänderungen mit den betrieblichen Belangen vereinbar sein müssen. Einseitig dürfe ein Arbeitnehmer nicht bestimmen, wie er arbeite. Damit bezieht sich Steinmaier auf die Forderung der IG Metall in der aktuellen Tarifrunde. Die Gewerkschaft fordert unter anderem ein Anrecht auf individuelle Arbeitszeitreduzierung auf bis zu 28 Wochenstunden.

Dazu hat auch die Trumpf-Regelung inspiriert. »Aber ansonsten kenne ich kaum offiziell installierte Wahlarbeitszeiten«, sagt Martin Röll. Oft werde das allerdings individuell geregelt. So hört er immer wieder, dass Ingenieure nur vier Tage pro Woche arbeiteten. »Die sagen, sie gehen, wenn sie das nicht dürfen.« Das funktioniere allerdings vor allem in der Region Stuttgart, wo die Branche gerade boomt, so Röll. Wo Arbeitnehmer diesen Druck nicht aufbauen können, hätten sie kaum Chancen auf Arbeitszeitreduzierung mit Rückkehrrecht.

Der Gewerkschafter hat zudem den Eindruck, dass Arbeitgeber aus kulturellen Gründen ein Problem mit den individualisierten Arbeitszeiten haben. »Die wollen gerne den Finger drauf haben«, sagt Röll. Gerade größere Betriebe könnten mehr tun. »Aber da steht die Ideologie dagegen. Die wollen die Leute einfach nicht machen lassen.«

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