Als ob man ein sterbendes Schaf krault

Neue Notizen aus dem herrlichen Deutschland

  • Christian Y. Schmidt
  • Lesedauer: 14 Min.

Im Busenwunderland
Ankunft in Tegel. Das erste deutsche Wort, das ich nach der Einreise auf dem Monitor am Gepäckförderband lese, lautet »Busenwunder«. Irgendeine Meldung im Boulevardblatt »BZ« über Katie Price. »Busenwunder«. Was ist das für ein Land, in dem so ein Wort, das weibliches Fett- und Bindegewebe bezeichnet, in den Nachrichten auftaucht? Und was soll das überhaupt sein – ein Busenwunder? Hat Katie Price ihre Brüste von den Toten auferstehen lassen? Können sie jetzt wieder gehen?
Zu Hause überprüfe ich als Erstes, ob das Busenwunder tatsächlich eine deutsche Obsession ist. »Wonder bosom« ergibt genau 392 Google Hits, die ordinäreren »wonder tits« immerhin schon 391 000. Aber dann: Das deutsche »Busenwunder« – 3 520 000 Treffer. Dreieinhalb Millionen. Busenwunder. Was wollen diese Deutschen bloß damit? (16. August 2017)

Für die Tonne

Christian Y. Schmidt

Christian Y. Schmidt, geb. 1956, war bis 1995 Redakteur des Satiremagazins »Titanic«. Seit 2005 lebt er als freier Autor und Tunichtgut in Peking und im Internet. Er hat zahlreiche Bücher geschrieben, darunter den China-Reisebuchklassiker »Allein unter 1,3 Milliarden«. Im Frühjahr 2018 erscheint sein erster Roman. Ab und zu reist er für einige Zeit zurück nach Deutschland, um dort nach dem Rechten zu sehen und fürs »nd« zu notieren, was er in dem bizarren mitteleuropäischen Kleinstaat Sonderbares gesehen und erlebt hat.

Ein Dramolett.
Besetzung:
- Der ambulante vietnamesische Zigarettenhändler (ZH), der schon seit Jahren vorm Lidl herumlungert.
- Wunderwarzenschwein (WWS), ein aschgrauer übergewichtiger Molle-Berliner, halblange, nach hinten gekämmte Haare, vollgewarztes Gesicht, Kettenraucher. Sieht aus wie Mitte Siebzig, ist wahrscheinlich aber erst Mitte Fünfzig.

ZH zeigt WWS den Kopf einer Stange Zigaretten. Rote Verpackung, die Marke ist nicht zu erkennen.
WWS: »Ja, aba die habe ich doch selba zu Hause. Die kannste doch jarnich roochen.«
ZH: »Ist gute Zigarette.«
WWS: »Weeßte, wie die brennt? Jarnüschte. Ha’ ick doch selba zu Hause. (Kurze Pause). Haste keine andere?«
ZH gibt WWS wortlos einen kleinen weißen Zettel, auf dem eine kurze Liste steht.
WWS (kuckt die Liste lange mit zugekniffenen Augen an; dann): »Ja, Marlboro. Das ist ’ne gute Zigarette. Die brennt richtig. Haste Marlboro?«
ZH: »Morgen. Morgen habe ich Marlboro.«
WWS: »Marlboro! Gute Zigarette! Den Rest kannste doch in die Tonne kloppen. Vastehste?«
ZH: »Morgen habe ich Marlboro.«
WWS: »In die Tonne kloppen. Alle. Nur MARLBORO!«
ZH: »Morgen habe ich Marlboro. Kommst du?«
WWS: »Mal sehen.«
(mit dem Klappfahrrad ab)
(24. August 2017)

Das »Da für mich«-Mobil

Vor der Gaststätte »Max und Moritz« am Arnswalder Platz unter der Markise. Endlich wieder ein knuspriges halbes Hormonhähnchen, dazu Salat und Ayran. Während ich es verschnabuliere, fährt ein Polizeiwagen vorbei. Eine Wanne, wie wir so etwas früher nannten, nur viel größer und höher als damals. Wofür muss denn ein Auto so enorm hoch sein? Okay, die Menschen, die man im Festnahmefall da hineinkomplimentieren will, sind tatsächlich in den letzten Jahrzehnten etwas größer geworden. Aber es sind doch nicht solche Lulatsche.
Ich habe nicht viel Zeit, mir darüber den kahlen Kopf zu zerbrechen, denn schon ist der fahrbare Kasten vorbei und ich sehe auf sein Hinterteil. »Da für Dich« steht drauf. Für mich? Aber ich bin doch nur ein Meter sechsundsiebzig.
Drei Tage später steht ein »Da für Dich«-Mobil mitten auf der Fahrradspur der Heinrich-Heine-Straße und blockiert mir den Weg zum Alex. Daneben stehen eine Polizistin und ein Polizist. Ich kriege einen Schreck. Machen sie ihre Drohung jetzt wahr? Kommen sie mich holen? Als ich auf die Fahrbahn ausweiche und das Mobil überhole, sehe ich, dass das Wachtmeisterpärchen dahinter gemütlich Zigaretten pafft. Für sowas sind also die hohen Wannen da. (21. und 24. August 2017)

Die Nützlichkeitsgefühlmaschine

Hurra! Ich habe zwei gläserne Mineralwasserflaschen in der Mülltonne gefunden. Die hole ich natürlich sofort raus und bringe sie zum Pfandflaschenautomaten, der im neuen REWE steht, der jetzt nicht mehr nur REWE (= Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften) heißt, sondern »REWE City« (= Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften Stadt). Es sind aber nicht bloß die insgesamt 30 Cent für die zwei Flaschen, die mich locken, sondern auch die befriedigende Empfindung, die sich immer einstellt, wenn ich Flaschen oder Dosen dem Recycling zuführe. Es ist zwar nur ein kleiner Beitrag, aber ich fühle mich dennoch in diesem Moment sehr nützlich. Schone ich nicht weltweit die Quarzsand-, Soda- und Pottasche-Vorkommen? Können durch mich nicht Quarzsandregionen wie das Münsterland, die Oberpfalz und das südliche Niedersachsen genesen? Wenigstens ein kleines bisschen?
Dieses Gefühl gönnt man mir in China nicht. Der Recycling-Mann, der den ganzen Tag vor unserem Haus in Peking herumlungert, nimmt zwar Plastikflaschen, Papier und Metall an, aber mit Glas kannst du ihn jagen. Außerdem ist der Mann eben auch kein deutscher Automat. In den kann man eine Flasche nach der anderen einlegen, um ihnen dann auf dem Förderband nachzusehen, bis sie in dem geheimnisvollen Raum dahinter verschwinden. Genau dieser Moment des Nachschauens potenziert noch einmal das Nützlichkeitsempfinden, so dass man spätestens nach zehn eingelegten Glasflaschen vor Nützlichkeit kaum mehr gehen kann.
Wer beschreibt meine Begeisterung – gut, ich versuche es gleich –, als ich mit meinen zwei Mineralwasserflaschen vorm Automaten des neuen REWE stehe und feststelle, dass man die Länge des Flaschenförderbandschachts im Vergleich zum alten REWE, der hier mal stand, mindestens noch einmal verdoppelt hat? Das heißt, ich kann einer Flasche jetzt fast fünf Sekunden nachsehen, was dazu führt, dass ich mich so nützlich und wichtig fühle wie, wie, wie Martin Schulz nach ... Sorry, ich gebe den Beschreibungsversuch an dieser Stelle auf. Probieren Sie es doch einfach selber aus, im neuen Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften Stadt in der Pasteurstraße. Danach können Sie die Sitzungen bei Ihrem Psychotherapeuten streichen. (29. August 2017)

Ruhe im digitalen Karton

Ich sitze im Eurocity 258 »Kopernikus« von Prag nach Leipzig. Kurz vor der deutschen Grenze schaue ich mir die Fahrt des Zuges entlang der Elbe – die hier Labe heißt – noch einmal auf Google Maps an. Die ganze Strecke durch Tschechien war die WLAN-Verbindung hervorragend, schon seit der österreichisch-tschechischen Grenze, ach, Quatsch, sogar in Österreich war das WLAN prima, seit Wien.
Ich starre auf den kleinen pulsierenden blauen Punkt, der auf der linken Seite des Flusses entlang nach Norden eilt. Jetzt sind wir durch Decin durch, Dolni Zleb, Labska Stran. Und jetzt kommt die deutsche Grenze, wobei noch für rund zwei Kilometer auf dem rechten Ufer Tschechien ist. Aber nun – auf der linken Seite erscheint auf der Karte Reinhardtsdorf-Schöna, übrigens »Deutschlands größte Nazi-Gemeinde« (»Huffington Post«) – wird es auch rechtselbisch deutsch. Und jetzt, jetzt, jetzt – bleibt der blaue Punkt einfach stehen. Wir sind in Deutschland und das Internet ist auf meinem Handy (in dem eine chinesische SIM-Card steckt, weshalb ich in Europa auf Daten aus den Handynetzen verzichte) erloschen.
Na gut, endlich Ruhe im Karton. (15. September 2017)

Hipsterbart

Am Samstag vor der Bundestagswahl. Von Kathrins Party mit C. und U. im Taxi aus Neukölln zurück in den Prenzlauer Berg.
C.: »Das sieht hier doch inzwischen ganz nett aus. Die vielen Bars und Cafés.«
Icke: »Naja, man liest doch dauernd davon, wie Neukölln gentrifiziert wird. Selbst in China.«
C.: »Stimmt. Aber ich komme hier einfach nicht hin. Ich bin noch nie in dieser Ecke gewesen, obwohl ich schon hundert Jahre in Berlin wohne.«
U: »Habt ihr neulich diesen Tagesschau-Beitrag gesehen, den ich bei Facebook verlinkt habe? Über die Hipster in Neukölln? Der war lustig.«
Icke: »Tagesschau? War das nicht in der Abendschau? Ein Beitrag von Laurence Thio, den kenn’ ich noch aus Peking. Ja, der war lustig.«
U: »Total. Und am Ende dieser dicke tätowierte Glatzkopf: ›Wat sind das füa Kollegn? Hipstaa? Is mia ja nich’ so uffjefallen, ehrlich.‹«
Icke: »›Nie welche jesehen.‹ Dabei muss doch so einer Glatze, die den ganzen Tag an der Straßenecke hockt, eigentlich auffallen, wenn plötzlich alle wieder mit Vollbart rumlaufen. Zum ersten Mal seit rund 30 Jahren. Seit dem Einzug der grünen Pulloverstricker in den Bundestag.«
C: »Also, ehrlich gesagt: Ich finde diese Vollbärte voll eklig.«
U: »Ja, schön ist das nicht.«
Icke: »Diese Seuche hat ja Kai Diekmann eingeschleppt. Als der nach einem halben Jahr in Silicon Valley mit einem Vollbart zurück nach Deutschland kam, brachen alle Dämme.«
C: »Furchtbar. Wie sich das anfühlt. Als ob man ein altes sterbendes Schaf krault.«
U: »Und was da alles hängen bleibt ...«
Icke: »Genau. Bei Regen fängt das an zu stinken. Nach Komposteimer mit Käse.«
C: »Dann kommen kleine Tiere. Kribbel. Krabbel.«
U: »Grauenhaft.«
Wir sind im schönsten Lästern, als mir plötzlich etwas einfällt. Es wird doch nicht etwa ...? Ich drehe meinen Kopf ganz, ganz langsam zum Fahrersitz. Ach, du Scheiße, da sitzt tatsächlich ein arabischstämmiger Mensch mit bitterbösen Augen – und einem rabenschwarzen Vollbart, so wie ihn der Prophet einst trug. Er starrt fanatisch geradeaus.
Vorsichtig wende ich meinen Blick zurück und beginne ein neues Thema: »Die AfD. Was glaubt ihr denn, wie viel Prozent die so bekommt?« (23. September 2017)

Anja

Auf dem Weg vom Wahllokal zurück nach Hause. Eine Vierergruppe um die Dreißig zweierlei Geschlechts. Man unterhält sich über die Volksabstimmung zum Flughafen Tegel.
Mann: »Das ist ganz schön laut da in der Einflugschneise. Eigentlich unerträglich, wenn man da mal war.«
Frau 1: »Man muss da ja nicht unbedingt wohnen.«
Mann: »Naja, heutzutage kann man es sich in Berlin ja nicht mehr unbedingt aussuchen, wo man so wohnt.«
Frau 2: »Stimmt. Ich kenn auch eine, die da hinziehen musste. Anja. Der reinste Horror, wenn man mal bei der ist. (Pause) Hihi. Der habe ich heute schön eins ausgewischt.« (24. September 2017)

Fünf Minuten in Reinbek

Eine Stunde früher als sonst zum S-Bahnhof Reinbek. Angeblich sollen die Streckenbauarbeiten am Berliner Tor in Hamburg heute beendet sein, doch ich traue solchen Ankündigungen in Deutschland nicht. Und, na klar: Als ich um fünf vor elf am Bahnhof eintreffe, verkündet eine Anzeigetafel, dass der S-Bahnverkehr auf der S 21 eine weitere Woche unterbrochen bleibt. Außerdem schreit mir eine weibliche Lautsprecherstimme entgegen, dass es momentan zu »Unregelmäßigkeiten im Zugverkehr« komme. »Bitte beachten Sie die Anzeige im Zugzählanzeiger.« Die Anzeige im Zugzählanzeiger – offenbar die Anzeigetafel – zeigt eine Wartezeit von fünf Minuten an. Na, wenn’s weiter nichts ist. Da bin ich auf deutschen Bahnhöfen Schlimmeres gewohnt.
Zehn Minuten später hat sich diese Zeitangabe immer noch nicht verändert, und – obwohl die Stimme immer wieder was vom Zugzählanzeiger auf den Bahnsteig schreit – fünfzehn Minuten später auch nicht. »Wie lange dauern denn hier in Reinbek so in der Regel fünf Minuten?«, frage ich laut die mit mir Wartenden. Die starren nur noch verbissener und böser auf den Bahnsteig. Hanseatische Hasswolken wabern mich an.
Sieben Minuten später kommt die S-Bahn. Das heißt: Fünf Minuten dauern in Reinbek exakt zweiundzwanzig Minuten. Hat Einstein die Idee zur allgemeinen Relativitätstheorie vielleicht in Reinbek bekommen? (9. Oktober 2017)

Der Bademantel des Todes

1. Oktober, chinesischer Nationalfeiertag. Ich bin im »Hotspot« in der Eisenzahnstraße mit einem berühmten Schriftsteller und einer berühmten Sinologin zum Essen verabredet. Weil ich letztes Jahr eine Viertelstunde zu spät war, komme ich dieses Mal eine halbe Stunde zu früh. Zeit genug, ein Gespräch zwischen einem zu groß geratenen, alten Deutschen und einem wohlproportionierten, jungen Chinesen zwei Tische weiter zu belauschen. Der Chinese sagt, ihm schmecke es sehr gut. »Ach, das können Sie schon nach einem Bissen sagen?«, staunt der Deutsche. Wahrscheinlich hat er das Lokal ausgewählt, weil es als »originalchinesisch« gilt. Ich dagegen würde sagen: Das Essen ist so mămăhūhū, wie man bei uns in Peking sagt, mittelmäßig, mit einigen Gerichten, die herausragen. Joschka Fischer soll öfter hier dinieren, ein Mann, der isst, um satt und dick zu werden. Die Küche geht in diese Richtung.
Der Deutsche freut sich aber, weil ihm der Chinese seine Kennerschaft in chinesischen Dingen bestätigt. Jetzt will er mehr:
»Ein guter Bekannter von mir, ein Professor, hatte an einer chinesischen Uni eine Vorlesung gehalten. Danach wurde er zum Essen eingeladen. Am Ende des Menüs ließ er seine Stäbchen im nicht aufgegessenen Reis seiner Schüssel stecken. Das ist ein grober Fauxpas, oder? Das bedeutet ›Tod‹, nicht wahr?«
Keine Ahnung, woher der Deutsche die Geschichte wirklich hat, aber sie steht in jedem zweiten chinesischen Reiseführer, neben den Hinweisen, man solle in China keinen grünen Hut tragen – weil man sich sonst als gehörnten Ehemann zu erkennen gibt – oder eine Wanduhr verschenken – auch das soll dem Beschenkten den Tod bringen. Seit Jahrhunderten schreiben China-Experten diese Anekdoten voneinander ab, und sie werden es noch tun, wenn der letzte grüne Hut auf Erden getragen und die letzte Wanduhr verschrottet worden ist.
Auch der junge Chinese hat die Anekdote gewiss schon x-mal gehört. Vielleicht antwortet er deshalb trotzig: »Nein, das hat gar nichts zu bedeuten. Das nimmt ihnen in China keiner übel.« Oha, kommt es jetzt zum interkulturellen Eklat? Der Deutsche lässt sich nicht beirren und erzählt die nächste Geschichte, die aber jetzt wohlweißlich in Japan spielt, in einer Sauna: »Ich war mal in Japan in der Sauna. Da hatte ich den Knoten meines Bademantelgürtels auf der falschen Seite. Alle guckten mich so komisch an. Ich hatte absolut keine Ahnung, warum. Später habe ich dann erfahren, dass die Bademäntel von Toten so geknotet werden.« Jetzt gibt der Chinese klein bei. »Ach, interessant«, sagt er, wobei ich eine gewisse Resignation in seiner Stimme zu erkennen glaube. »Das habe ich nicht gewusst.«
Ich auch nicht. Werden Japaner wirklich in Sauna-Bademänteln beerdigt? (1. Oktober 2017)

Antipädagogik

Aus familiären Gründen in Reinbek bei Hamburg. Am Nachmittag gehe ich am Ufer der Bille spazieren. Bei einer kleinen Rast lege ich mich auf einen umgestürzten Baum, schließe die Augen und lasse mich von der Sonne bescheinen. Etwa zehn Meter weiter nimmt eine Familie auf einer Bank Platz. Vater, Mutter und zwei Kinder sowie ein hechelnder Hund.
Die Mutter eröffnet die Familienkonferenz.
Mutter: »Also, ich würde gerne im Frühjahr nach Südtirol. Und dann noch ein paar Tage nach Venedig. Was haltet ihr davon?«
Tochter: »Ach, naja. Südtirol. Nicht schlecht. Aber schon wieder?«
Vater: »Venedig und dann noch ein paar Tage Rom.«
Mutter: »Rom ist zu viel für diesen kurzen Zeitraum. Das wird total unentspannt.«
Tochter: »Ich würde gerne an den Strand. Wie wär’s mit Mallorca?«
Mutter: »Mallorca mache ich schon mit meinen Eltern im Herbst. Die Kreuzfahrt, ihr erinnert euch?«
Tochter: »Ja, mit Oma und Opa, aber nicht mit uns.«
Mutter: »Trotzdem will ich nicht zwei Mal nach Mallorca. Wie wäre es denn mit Portugal?«
Tochter: »Portugal. Ich weiß nicht. Da war ich noch nie.«
Der Sohn hat die ganze Zeit geschwiegen. Jetzt meldet er sich zu Wort.
Sohn: »Darf ich auch mal was sagen?«
Mutter: »Na klar. Nur zu.«
Sohn: »Wann fahren wir denn mal wieder nach Lütjensee?«
Mutter (entgeistert): »Lütjensee? Aber das sind doch nur 15 Kilometer von hier. Da kann man doch am Wochenende hin. Und was kann man denn da überhaupt machen?«
Sohn: »Basketball spielen. Und schwimmen.«
Mutter: »Schwimmen? Ist das cool?«
Sohn (bestimmt): »Ja. Schwimmen ist sehr cool.«
Mutter: »Ich weiß ja nicht ... Schwimmen?«
Sohn: »Wir könnten mit den Fahrrädern hinfahren.«
Mutter (gelangweilt): »Na, von mir aus fahren wir auch mal nach Lütjensee am Wochenende. (Mit Elan) Aber was ist denn jetzt mit Südtirol? Ich würde da so gerne …«
Der Hund hechelt vernehmlich. (6. Oktober 2017)

Jungbrunnen

Die »Titanic«-Buchmessenparty in Frankfurt am Main – wie jedes Jahr ein Jungbrunnen. Allein die Bestätigung: Es gibt schlimmere Säufer als mich. (13. Oktober 2017)

Survival of the fittest

Noch einmal auf dem Fahrrad von Ostberlin in den Westen. Am Alex: Eine Berliner Regierungskarosse und ein Wagen der französischen Botschaft stehen auf dem Radweg. Ich will die Chauffeurin des Botschaftswagens zur Rede stellen, aber sie kurbelt noch nicht einmal das Seitenfenster herunter, sondern zeigt immer nur nach hinten, auf den Wagen mit Berliner Kennzeichen und (ausgeschaltetem) Blaulicht. Leipziger Straße, kurz bevor es an der Ecke Friedrichstraße eng wird (kein Fahrradweg), überholen mich Lastwagen mit fünfzehn Zentimetern Abstand. Am Potsdamer Platz latschen dann gemächlich Fußgänger über den Radweg, die aus ihren Heimatstädten offenbar das Prinzip Radweg nicht kennen. Oder sind für sie Fahrradfahrer sowieso nur arme Tröpfe, denen Aufmerksamkeit nicht gebührt?
Die Fahrradampel an der Ecke Potsdamer Straße springt fünf Sekunden vor der Autoampel auf Rot, damit die Autos bequem rechts abbiegen können. Merke: Es gibt keine fahrradfreundlichen Ampelphasen in Berlin, nur denen, die mit ihren Karren den flanierenden Teil der Menschheit vergiften, wird es so bequem gemacht wie es nur eben geht. Auf der Potsdamer Straße zwischen Lützowstraße und Kurfürstenstraße ein Mercedes-Fahrer, der auf der Bus- und Fahrradspur versucht, den Verkehr rechts zu überholen. Als ich ihn ausbremse und über die Schulter anschreie: »Du hast auf dieser Spur nichts zu suchen«, versucht er mich von der Fahrbahn zu hupen. Auf der Grunewaldstraße dann wieder kein Radweg, erneut ziehen ein paar LKW im Minimalabstand an mir vorbei. Und auf dem Rückweg dann alles noch einmal in der Wiederholung.
Am Ende meines herrlichen Deutschlandaufenhalts bin ich wie immer froh, überlebt zu haben. Ich bewundere die Menschen, die das ganze Jahr hier wohnen. Manche werden sogar alt. Keine Ahnung, wie sie das anstellen. (23. Oktober 2017)

Wir-schenken-uns-nichts
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