• Berlin
  • Betrug mit Fahrkarten

Ticketfälscher setzen aufs Internet

In Kleinanzeigenportalen werden nachgemachte Monatskarten angeboten

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

»Maxim« und »Kelvin« haben etwas gemeinsam. Sie bieten gleich mehrfach eine VBB-Monatskarte für den Tarifbereich Berlin AB für den Januar 2018 an. 65 Euro statt der regulär fälligen 81 Euro wollen sie beim Internetportal »Ebay Kleinanzeigen« dafür haben. Obwohl der eine laut Profil in Tiergarten wohnt und der andere in Reinickendorf, haben sie ein identisches Foto des Tickets in ihre Kleinanzeige eingebunden. Es zeigt eine Karte, die den Anschein macht, an einem Automaten der S-Bahn Berlin gekauft worden zu sein. Und zwar immer dieselbe.

Szenenwechsel. Am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertags geht ein Polizeieinsatz am Görlitzer Park in Kreuzberg gründlich in die Hose. Zwei Zivilpolizisten versuchen, den Fahrer eines BMW aufzuhalten. Obwohl der eine Beamte sogar seine Dienstwaffe zückt, gibt der Fahrer Gas. Ein Polizist wird mitgerissen, der andere muss zur Seite springen, um nicht überfahren zu werden, heißt es in der Pressemeldung der Polizei. Beide werden verletzt.

Beides hat miteinander zu tun. Die Polizei alarmiert hatte eine Zeugin, »da sie zuvor von einem Mann und dessen Begleiterin eine gefälschte Monatskarte der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) gekauft hatte und den beiden mutmaßlichen Betrügern nun vorgab, eine weitere Karte kaufen zu wollen«, heißt es im Polizeibericht.

»Das Angebot stand bei Ebay-Kleinanzeigen«, sagt eine Betroffene, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Unter verschiedenen Namen, aber stets unter der gleichen Handynummer wurden die BVG-Tickets angeboten. 60 Euro pro Monatskarte wollte der Mann, er verabredete sich gleich mit mehreren Interessenten gleichzeitig und versicherte stets die Echtheit der Ware. Dass es Fälschungen waren, flog bei einer Fahrkartenkontrolle auf. »Das Papier war original, aber bei dem Aufdruck gab es Abweichungen. Unter anderem fehlte der Strichcode auf der Rückseite«, erklärt die Frau.

»Bei Automatenaufbrüchen werden immer wieder auch Blanko-Fahrkartenrollen gestohlen«, erklärt S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz auf nd-Anfrage. Allerdings seien die entsprechenden Rollen in einer Datenbank verzeichnet. Bei der BVG möchte man sich zu diesem Punkt nicht äußern.

»Der Fahrkartenkontrolleur hatte sogar Mitleid«, schildert die Betroffene. Zwar bestand er auf den 60 Euro für das Fahren ohne gültiges Ticket. Allerdings zerriss er dann die Fälschung, obwohl er eigentlich verpflichtet gewesen wäre, den Fall anzuzeigen. Betrug und Urkundenfälschung lauten dann die Vorwürfe. »In diesen Fällen wird immer Anzeige erstattet, was für die betroffenen Fahrgäste - egal, ob sie die Fälschung schuldhaft oder nur aus Versehen oder im guten Glauben nutzen - mit erheblichen Scherereien verbunden sein kann«, sagt BVG-Sprecher Markus Falkner. In jedem Fall müssen die Betroffenen mit einer dreistelligen Geldstrafe rechnen.

Nun, dass die niedrig bezahlten Kontrolleure, die meist nur im Auftrag der BVG arbeiten, aber eigentlich beim Dienstleister WISAG angestellt sind, den Aufwand auch mal scheuen, ist nachvollziehbar. Vielleicht liegt es auch an diesem Umstand, dass Falkner erklärt: »Ganz allgemein kommen Ticketfälschungen immer mal wieder vor, aber bei der BVG nicht in großem Ausmaß und auch nicht mit zunehmender Tendenz.« Die S-Bahn äußert sich ähnlich. Auch sie lässt durch die WISAG kontrollieren. Befragt man die Kontrolleure direkt, berichten sie in ihrem persönlichen Erleben durchaus von einem Anstieg der Fälle.

Tatsächlich kaum noch zu sehen sind die Rudel junger Männer, die sich vor Fahrkartenautomaten in U-Bahnhöfen scharten und Touristen nachgemachte Tageskarten für etwa den halben Originalpreis andrehten. Dabei sind BVG-Blanko-Thermopapierrollen, wie sie für die Fahrkartendrucker in den Bussen verwendet werden, nach wie vor im Internet im Angebot. Auch der Weiterverkauf bereits genutzter, aber noch gültiger Fahrscheine, ist praktisch gar nicht mehr zu beobachten.

Verborgen sind der BVG die Aktivitäten im Internet nicht geblieben. Die Gewerkschaft ver.di machte im Oktober bekannt, dass der Verkehrsbetrieb einen Mitarbeiter für das Media Screening sucht. Als Stellenprofil werde das Aufspüren von negativen Einträgen in Social-Media-Netzwerken angegeben. Gleiches gelte für den unberechtigten Verkauf von BVG-Artikeln im Internet, zu denen zum Beispiel Fahrscheine gehören, berichtet ver.di. »Zu genauen Aufgabengebieten machen wir aber aus verständlichen Gründen auch keine Angaben«, sagt BVG-Sprecher Falkner.

Am Görlitzer Park konnte der Verkäufer gefälschter Fahrkarten tatsächlich entkommen. Die Polizei konnte aufgrund des Kennzeichens des Fluchtautos zwar »den Halter als den mutmaßlichen Fahrer namhaft machen«, heißt es im Polizeibericht. Ob es inzwischen auch zu einer Festnahme oder Durchsuchungen kam, dazu wollte sich die Polizei auf nd-Anfrage nicht äußern. Immerhin »seine 19-jährige Begleiterin, die wegen des möglichen Verkaufs der Monatskarte bereits bei Erreichen des Treffpunkts den Wagen verlassen hatte, konnte vorübergehend festgenommen werden«, so der Bericht. Die Beamten leiteten Verfahren unter anderem wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Betruges ein.

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