Drohbriefe an Bewohner der Rigaer 94

Fiktives »Zentrum für politische Korrektheit« führt Dutzende Personen mit vollen Namen und teilweise Fotos auf / Hausprojekt: Brief von Berliner Polizei erstellt und verschickt

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

»Eure Gesichter Namen Adressen Fahrzeuge Geschwister Eltern sind sehr lange schon bekannt«, heißt es bei sehr sparsamer Interpunktion in einem anonymen Schreiben, das laut Angaben der Internetseite indymedia.org kurz vor Weihnachten »in verschiedenen Lokalitäten, die in Veröffentlichungen von Behörden als ›linksextremistische Treffpunkte‹ bezeichnet werden«, ein. In dem neunseitigen Brief werden demnach insgesamt 42 Personen aus dem Umfeld des Hausprojekts Rigaer Straße 94 in Friedrichshain mit vollen Namen erwähnt. Zu 18 dieser Personen sind »Lichtbilder aus erkennungsdienstlichen Behandlungen des Berliner LKA bzw. Personalausweisfotos mit teilweise zutreffenden, meist verleumderischen Kommentaren aus Datenspeicherungen beigefügt, die dem Staatsschutz zugerechnet werden können«, heißt es weiter auf der Webseite. Zuerst hatte der »Spiegel« berichtet.

Absender des Briefes ist ein fiktives »Zentrum für politische Korrektheit«. Auf Indymedia dokumentieren auch einige Fotos den Brief. Das Schreiben ist offenbar eine Retourkutsche auf einen Fahndungsaufruf von Aktivisten aus dem Umfeld der »Rigaer 94«. Diese hatten »anlässlich der Hetzkampagne und den Aufrufen zur Denunziation« im Zuge der G20-Ermittlungen Mitte Dezember auf der Webseite Indymedia.org die Bilder von 54 Polizisten veröffentlicht. Die Beamten sollen an einer Räumung des Projektes beteiligt gewesen sein.

Die anonymen Briefeschreiber drohen, die Informationen an Identitäre, Autonome Nationalisten oder »die Bullen« weiterzugeben. Begründung: »Wenn man damit droht das Leben anderer erheblich einzugrenzen und Szenarien zu kreieren die für Familien und Unbescholtene folgenschwere Einschnitte bedeuten dann sollt auch IHR ebenso in den selben Zustand versetzt werden«, holpern die Autoren sprachlich weiter.

Eine erste Auswertung durch einen Teil der Betroffenen habe bestätigt, dass die Informationen ohne verleumderischen Inhalt nur den »szenekundigen« Beamten des Staatsschutzes (LKA 5) zur Verfügung stehen können, heißt es in dem Beitrag auf Indymedia. Und: »Wir sind sicher, dass das Schreiben von der Berliner Polizei erstellt und verschickt wurde, da niemand sonst Zugang zu entsprechenden Fotos von ED-Behandlungen und Ermittlungsakten haben dürfte.«

Die Adressaten des Drohbriefs »protestieren ausdrücklich nicht gegen diese Form der staatlichen Repression, weil Protest eine Instanz voraussetzt, die als Korrektiv von uns anerkannt würde«, heißt es weiter auf Indymedia.

Das sieht Hakan Taş, innenpolitischer Sprecher der LINKEN im Abgeordnetenhaus, anders. »Wir haben den Vorfall als besonderes Vorkommnis für die nächste Innenausschusssitzung am 8. Januar angemeldet«, sagt er auf nd-Anfrage. »Die Namen und Adressen können eigentlich nur von Beschäftigten der Polizei oder Justizverwaltung weitergegeben worden sein«, so Taş. »Die Verantwortlichen müssen auf jeden Fall zur Rechenschaft gezogen werden«, fordert der Politiker. Wegen des Feiertags sah sich die Polizei am Montag außerstande, zu dem Vorgang Stellung zu nehmen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -