Schein-Partizipation bei der Endlagersuche

In der Schweiz sind drei potenzielle Standorte in der Auswahl - bei Anhörungen dürfen Bürger und Gemeinden auch aus Deutschland ihre Einwände formulieren

  • Eric Breitinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Endlagerung von Atommüll ist weltweit ein ungelöstes Problem. Die Schweizer Regierung hat Ende November drei geeignete Standorte für ein Tiefenlager festgelegt. Damit ist die Eidgenossenschaft, die beim Wirtsgestein auf Ton setzt, ihren beiden größten Nachbarn weit voraus. Den Regierungen und den Betreibern der Atomkraftwerke in Deutschland und Frankreich ist weiter unklar, wo die strahlende Hinterlassenschaft des Nuklearzeitalters endgültig hin soll.

Der Schweizer Bundesrat, also die Regierung, lässt die von den Betreibern finanzierte Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfällen (Nagra) bereits seit 1972 nach einer Endlagerstätte Ausschau halten. In einem guten Dutzend Gemeinden stieß sie den vergangenen Jahren auf massiven Widerstand. Wesentliche Fragen der Sicherheit, des Mitspracherechts der Bevölkerung und der Finanzierung sind bis heute umstritten.

Zuerst einmal haben die Bürger an den drei Standorten das Wort. Zwei davon liegen im Kanton Zürich in unmittelbarer Nähe des Rheins und der deutschen Grenze. Der dritte Standort namens »Jura Ost« befindet sich im Kanton Aargau, rund acht Kilometer von Deutschland und dem Rhein entfernt. Bis zum 9. März kann sich jeder Bürger im öffentlichen Anhörungsverfahren des federführenden Bundesamtes für Energie zu den Plänen äußern. Die Behörde ruft auch betroffene deutsche Bürger, Gemeinden und Landkreise auf, mögliche Einwände zu formulieren. In der kommenden Woche lädt man zu einer Infoveranstaltung im badischen Hohentengen am Hochrhein ein.

Der Bundesrat lässt derweil die Nagra die geologischen Vor- und Nachteile aller drei Standorte prüfen. Diese soll auf dieser Grundlage einen Standort vorschlagen, bevor die Regierung um 2029 die endgültige Entscheidung trifft. Dann folgt das Parlament. Im Falle von Widerstand kann es zu einer Volksabstimmung kommen. Der Bundesrat rechnet mit dem Baubeginn frühestens ab 2045. Das Tiefenlager für schwach und mittelradioaktive Abfälle aus der Forschung soll etwa 2050 in Betrieb gehen, jenes für hoch radioaktiven AKW-Müll zehn Jahre später.

»Man muss die Menschen auf beiden Seiten der Grenze wirklich mitentscheiden lassen«, meint Nils Epprecht von der industrieunabhängigen Schweizerischen Energiestiftung. Er bezeichnet die bisherigen Mitsprachemöglichkeiten betroffener Bürger als »Schein-Partizipation«. Sie hätten kaum Möglichkeiten, ernsthaft mitzudiskutieren, da ihre Stellungnahmen etwa in der aktuellen Anhörung für die Regierung nur Empfehlungscharakter haben. Das gilt auch für die Vorschläge der Regionalkonferenzen, in denen Gemeindevertreter auch aus Deutschland mit den Behörden, AKW-Betreibern und der Nagra das weitere Vorgehen aushandeln.

Verbesserungen mahnt Epprecht auch bei den Plänen des Tiefenlagers an. Die Nagra erwecke den Eindruck, alle technischen Probleme im Griff zu haben, »dabei hat noch keine einzige Probebohrung an einem der möglichen Standorte stattgefunden«. Die Energie-Stiftung hält vor allem einen Punkt der Planung für heikel: Die AKW-Betreiber wollten ihren Abfall in den Stollen vergraben und endgültig einen Deckel darauf machen. Epprecht hält dies für unverantwortlich und fordert stattdessen, die »Rückholbarkeit der Abfälle sicherzustellen«, um etwa auf Erdbeben, geologische Veränderungen oder sonstige Störfälle reagieren zu können. Zudem sollten die Betreiber das Tiefenlager mindestens 100 Jahre unter Beobachtung stellen - nicht nur zehn Jahre, wie die AKW-Betreiber das für ausreichend halten.

Kritik kommt auch aus Deutschland. Die Interessen der betroffenen deutschen Gemeinden und Landkreise vertritt Martin Steinebrunner. Der Leiter der »Deutschen Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager« in Waldshut-Tiengen hält es für proble-matisch, dass die Oberflächenanlagen des Endlagers in direkter Rhein-Nähe geplant sind: »Bei einem Störfall ist das Grundwasser gefährdet.«

Ungeklärt ist auch die Frage, was die Standortgemeinde dafür bekommt, dass sie den Schweizer Atommüll der letzten Jahrzehnte aufnimmt. Der Bundesrat hat in einem Bericht vom Oktober 2015 eine »Entschädigung für vermutete immaterielle Nachteile« in Aussicht gestellt und die Kraftwerksbetreiber verpflichtet, 800 Millionen Franken dafür zurückzustellen. Doch auch für die Zahlungen fehlt bislang die gesetzliche Grundlage. Die AKW-Betreiber sollen sich mit der Standortregion vertraglich einigen.

Unklar ist obendrein, wie viel die deutschen Anwohner von den Entschädigungen abbekommen. »Auf der Schweizer Seite plädieren starke Stimmen dafür, ja keine Franken über den Rhein fließen zu lassen«, merkt Martin Steinebrunner an. Für ihn unverständlich: »Deutsche Gemeinden sind von allen Standorten unmittelbar betroffen.«

Die Schweizerische Energie-Stiftung fürchtet grundsätzlich, dass sich die Betreiber um die volle Verantwortung für die Beseitigung ihres Mülls drücken könnten. Die Konzerne wollen dafür 23 Milliarden Franken zur Seite legen - laut der Energie-Stiftung wären aber 50 Milliarden nötig, um die Kosten zu decken. Bei Großprojekten mit derart langen Laufzeiten seien massive Kostensteigerungen gang und gäbe. Die Stiftung warnt, dass am Ende der Schweizer Steuerzahler einspringen müsse.

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