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Inhalte aus der realen Welt

Nicht alles gut Gemeinte ist gut: Die Gruppe Gutzeit verschmilzt linken Kitsch mit der Ästhetik des Stimmungsschlagers

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Grundsätzliches vorweg: Ein von Bertolt Brecht getextetes Lied (Textprobe: »Keiner will mehr Pferd sein, jeder Reiter / Und die Welt ist eine kalte Welt«) ist ein Kunstwerk, eines von Diether Dehm (Textprobe: »Das Telefon schweigt wie gefrorenes Holz«) ist keines. So einfach ist das. Das liegt daran, dass Brechts Texte gut sind, Dehms Texte dagegen »Quark auf Stelzen« (Wiglaf Droste).

Auch ob einer den Frieden herbei- bzw. den Krieg hinwegsingen will oder über einen Duschvorhangring singt, ist nicht entscheidend für die Frage, ob es sich bei einem Musikstück um erhaltenswertes Kunstgut handelt. Dass es die Form ist, die am Ende das Kunstwerk macht, und nicht der Inhalt: Das war der deutschen Linken (oder der Linken überhaupt) bisher nicht begreiflich zu machen und wird ihr wohl auch vorerst nicht begreiflich zu machen sein, obwohl diese Erkenntnis bei Bedarf jederzeit bei allen linken Kunsttheoretikern nachzulesen ist.

Im Zweifelsfall ist das einen Duschvorhangring besingende Lied nicht nur besser gedichtet als das den Frieden herbeisingen wollende, sondern auch politisch fortschrittlicher.

Kurz gesagt, es gilt die alte Regel: Nicht alles, was gut gemeint ist, ist gut. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die hier in der Redaktion per Post eingetroffene CD »Gute Zeiten« von der »Gruppe Gutzeit«, bei der es sich, schenkt man dem Bild auf dem Cover Glauben, um zwei ältere, sich, wie’s scheint, zwanghaft als jung geblieben präsentieren wollende und mit unzerstörbarem Grinsen ausgestattete Brillenträger Marke Gemeinschaftskundelehrer handelt, die hüftsteif und ungelenk Gitarren festhaltend für die Kamera posieren.

Auf der CD findet sich ausnahmslos alles, was linksdrehenden Kitsch so unerträglich macht: die akustische Lagerfeuergitarre, die seelenwärmende Opa-erzählt-von-der-Friedensbewegung-Mundharmonika, die durchgehend peinlichen Songtexte, die im Grunde nichts sind als unbeholfen mit der geballten Faust und der Pflugschar zusammengereimte, unterirdische Flugblattprosa, und ein derart simplifiziertes Bild vom Kapitalismus, dass einem im Vergleich das per Sesamstraße den Kindern vermittelte hochkomplex erscheint.

Auch die Obszönität, dem Schicksal ertrunkener Flüchtlinge einen niederschmetternd stumpfsinnigen fastnachtstauglichen Schunkelschlager abzutrotzen (»3000 Meilen und übers Meer / Kommt er aus Afrika zu uns her / Er will doch nur leben wie du und ich / Abschiebungen sind einfach unmenschlich«), lässt einen ratlos zurück.

Bisher dachte man, solcherart links gemeinte Erbauungsmusik, deren einzige Folgen ein selbstgerechtes Sich-auf-die-Brust-Schlagen (Künstler) und das Fremdschämen (Publikum) sind, existiere längst nicht mehr, weil ihre Exponenten schon vor über zwanzig Jahren tausendfach zu Recht ausgelacht und als unfreiwillige Parodisten ihrer selbst wahrgenommen wurden.

Doch lassen wir besser - mit der ihm eigenen sprachlichen Präzision - das Internetlexikon Wikipedia urteilen: »Das Repertoire besteht überwiegend aus Texten mit Inhalten aus der realen Welt und dem Arbeitsleben, weshalb die Gruppe auch besonders gern von den Gewerkschaften engagiert wird.« Das Repertoire der Gruppe besteht aus Texten »mit Inhalten aus der realen Welt«. Liebe Gewerkschaften! Bitte künftig lieber Künstler mit Inhalten aus der irrealen Welt verpflichten! Danke.

Hanns Eisler gab im Übrigen hie und da Anweisungen an Interpreten seiner Songs, wie ein Lied darzubieten sei, »damit es nicht zu schön klingt und niemand erschüttert wird«.

Gruppe Gutzeit: »Gute Zeiten« (Marchpane Records)

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