Ragazzi di Tatort
Mit Mario Kopper verlässt am kommenden Sonntag ein »Tatort«-Urgestein die ARD-Krimireihe
Hierarchien sind beharrlich, besonders im deutschen Krimi. Wer darin einmal die zweite Geige spielt, bringt es nur selten zur ersten. Harry Klein zum Beispiel hat es im Vierteljahrhundert an Derricks Seite nie geschafft, dessen Rang zu erreichen. Auch Michael Ande trat erst nach dem Tod des alten Alten aus dem Schatten von Siegfried Lowitz - nur um gleich in den des neuen Alten Rolf Schimpf zu treten. Im »Tatort« starb die wunderbare Tessa Mittelstaedt als Franziska eines grässlichen Todes, bevor sie wie ihre Münsteraner Artgenossin Nadeshda (Friederike Kempter) zumindest einen Dienstgrad unter dem der Herren Kommissare landen durfte. Doch selbst, wer dieselbe Besoldungsstufe schafft, hat es schwer, das Renommee vermeintlich Vorgesetzter zu erreichen. Davon weiß Mario Kopper ein Lied zu singen.
Fast 20 Jahre begleitet er Lena Odenthal durch Ludwigshafens Unterwelt. Damit ist er der viertälteste Ermittler im exponentiell wachsenden »Tatort«-Kollegium. Gleich hinter den Münchnern Leitmayr/Batic, noch vorm Kölner Duo Ballauf/Schenk. Dennoch steht der hochqualifizierte Veteran auf der Besetzungsleiste stets unter seiner gleichrangigen Partnerin. Und daran wird sich nach Lage der Dinge auch nichts ändern. Mario Kopper steigt aus. Endgültig.
Schon im März hatte der SWR verkündet, Andreas Hoppes 57. Einsatz als halbitalienischer Ragazzo di Tatort würde der letzte sein. Offiziell, weil der SWR die Rolle von Ulrike Folkerts »ohne ihren Co-Ermittler weiterentwickeln« wolle, was inoffiziell womöglich weniger harmonisch vonstattenging als die Mitteilung suggeriert. Koppers Darsteller sagte damals ja, er sei gar nicht »Tatort-müde«. Und so drängt sich der Verdacht auf, dass sein anfänglicher Ergänzungscharakter der uneingeschränkten Hauptfigur bisweilen im Lichte stand.
Lena Odenthals anfänglicher Sidekick war schließlich mehr und mehr zum Fixpunkt des Morddezernats gewachsen. Während die Kommissarin mit jeder Folge trister, depressiver, ja selbstzerstörerischer agierte, wandelte sich Kopper, wie Odenthal ihn nannte, peu à peu zur hoffnungsvollen Lichtgestalt. Schon sein Debüt hatte den Verdacht nahegelegt, ihre Scheidung stand bereits bei der Hochzeit fest. »Warum machst du mir mein Spiel kaputt?!«, motzte er seine Partnerin 1996 in deren 10. Fall »Der kalte Tod« an, worauf die blutjunge Odenthal »Warum gehst du nicht wieder zur Sitte und spielst Mau Mau?« entgegen patzte.
Auch wenn er ihr im damaligen Finale das Leben gerettet hat, ist das natürlich stark überinterpretiert. Aber der Eigensinn quoll dem Neuen von Beginn an aus jeder Pore. Sein Zopf, der Zigarillo, vorm Büro ein Oldtimer italienischer Herkunft, der ihm fast so wichtig war wie seine sizilianische Mama am Telefon: Kopper war eine Kopfgeburt des dualen Systems, in der sich die Effekthascherei jener Kampfjahre zwischen öffentlich-rechtlich und privat-kommerziell mit der artifiziellen Glaubhaftigkeit des erfolgreichsten Fernsehformats vermengte. Kopper, das war demnach großes Theater und kleines Karo, Exotik und Spießigkeit, Sehnsucht und Realität, Italien und Deutschland in einem.
Kein Wunder, dass ihm die ARD nun einen ambivalenten Abgang spendiert, als Teil einer Mafia-Erzählung in der rheinischen Provinz, die Odenthals früheren WG-Mitbewohner zum Hauptdarsteller einer grenzüberschreitenden Räuberpistole mit »Kopper« als Titel adelt.
ARD, 7. Januar, 20.15 Uhr
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