Schiffer geht von Bord
Die Piratenpartei verliert einen weiteren Führungspolitiker
Ziemlich unprätentiös erklärte Patrick Schiffer am Dienstagabend auf Twitter, dass er die Piratenpartei verlassen habe und in Kürze bei den Grünen eintreten werde. Einen »neuen politischen Lebensabschnitt« nennt der Düsseldorfer den Wechsel. Vor nicht einmal einem Jahr, im nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampf, hatte sich das noch anders angehört. »Wer grüne Politik will, wählt heutzutage Piraten. Wir fordern und handeln politisch klimafreundlicher und nachhaltiger. Und das konsequent«, schrieb Schiffer als Reaktion auf einen Wahlkampf-Tweet der Grünen.
Schiffer verfolgte damals noch große Ziele. Beim Bundesparteitag der Piraten hatte er Pläne vorgestellt, nach denen die Piraten mit anderen Parteien wie den »Liberalen Demokraten« und der »Partei der Humanisten« zusammengehen könnten. Ziel sollte eine sozialliberale Kraft sein. Die Mitglieder der Piraten standen Schiffers Vorhaben skeptisch gegenüber. Viele hatten Angst, das »Piratige« und die Wurzeln in der Hacker- und Nerdkultur könnten verloren gehen. Die Neuformung einer sozialliberalen Kraft verlief im Sande.
Schiffer sagt dem »nd«, dass er in der Piratenpartei nicht genug Unterstützung für seine Ideen gefunden habe. »Auf Bundesebene waren nur wenige Menschen aktiv« und die Landtagsfraktionen hätten sich sehr »zurückgezogen«. Schiffer ist aber auch selbstkritisch. Er habe die Menschen nicht »mitnehmen« können. Vor seinem Wechsel habe er auch mit der SPD »geliebäugelt«. Das habe aber »nicht gepasst«.
Schiffer ist der Letzte in einer langen Reihe von ehemaligen Piraten, die ihre Partei verlassen und eine neue politische Heimat gefunden haben. Manche sind bei den Grünen gelandet, einige bei der FDP, andere bei der LINKEN, wie Daniel Schwerd, der als Landtagsabgeordneter 2015 die Piraten verließ und bis zur Wahl im Mai als einziger LINKE-Abgeordneter im NRW-Landtag saß. Im Rückblick sagt Schwerd, den Piraten habe ein »Wertegerüst« gefehlt. »Das Internet alleine als einende Klammer reicht eben nicht«, sagt Schwerd dem »nd«. Auch sei der Umgang miteinander »destruktiv« gewesen. Dies sei bei der LINKEN anders, dort gäbe es ein gemeinsames politisches Fundament und eine »klare Vorstellung von Gesellschaft«. Dass diese »solidarisch, sozial und antifaschistisch sein soll, steht außer Frage«, so Schwerd.
Auch Fotis Amanatides, der heute in der Kölner FDP aktiv ist, sieht die Probleme in den Grundlagen der Piraten. Der Politologe, der 2014 knapp daran scheiterte, für die Piraten in das Europaparlament einzuziehen, sieht einen »Selbstbetrug« der Piraten beim Thema Basisdemokratie. Dass sich jeder beteiligen könne, sei eine Illusion gewesen. Etwa wenn Bundesparteitage in Bayern oder Schleswig-Holstein stattfanden und nur diejenigen teilnahmen, die es sich leisten konnten. Zudem habe es bei den Piraten an einer Debattenkultur gefehlt, meint Amanatides. Zu viel sei »mit Wut« herausgeschrien worden. Dies sei aber kein spezifisches Piraten-Problem, sondern ein »Bildungsproblem in Deutschland«, wo man das Debattieren erst an der Universität lerne. In der FDP würde akzeptiert, dass unterschiedlichen Menschen »verschiedene Aspekte« von Freiheit wichtig seien. Bei ihm sei es die »individuelle Freiheit«, bei anderen die wirtschaftliche.
Die ehemaligen Piraten betrachten ihre Ex-Partei ähnlich. So sagt etwa Schiffer, dass die Piraten die Themen »E-Governance und Transparenz« auf die politische Tagesordnung gesetzt haben. Für Amanatides ist die Digitalisierung zur rechten Zeit thematisiert und damit auch die Politik anderer Parteien beeinflusst worden. Schwerd sagt, die Piraten hätten Debatten um »digitale Demokratie« angestoßen und dafür gesorgt, dass sich heute alle Parteien mit Netzpolitik auseinandersetzen. Hauptverdienst der Piraten sei es gewesen, die »Internet-Generation politisiert zu haben«.
Bei den Piraten engagieren sich immer weniger Menschen. Beim letzten Parteitag waren nur noch knapp 250 Mitglieder anwesend. Zu den Hochzeiten der Partei waren es über 2000.
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