Elegante DDR-Betonbauten
Mecklenburg-Vorpommern: Wismarer Forscher ordnen den Nachlass von Ulrich Müther
Ulrich Müther hat der Welt von Rügen aus gezeigt, wie elegant Beton sein kann. Kühn schwingen die Dächer seiner Veranstaltungshallen, Restaurantgebäude und Kirchen. Sein Rettungsturm in Binz auf Rügen (Mecklenburg-Vorpommern) steht wie ein Ufo in den Dünen und ist noch heute, mehrere Jahrzehnte nach seinem Bau, ein beliebtes Fotomotiv. Von Müthers Firma stammen auch das Planetarium in Wolfsburg und eines in Libyen, eine Radrennbahn auf Kuba, Bobbahnen und eine Moschee in Jordanien. Von den 1960er bis 1980er Jahren war Müther (1934-2007) der König des Betonschalenbaus in der DDR und mit anderen Größen seiner Zunft, wie dem Mexikaner Felix Candela, weltweit vernetzt.
Die Bedeutung dieses Bauingenieurs, dessen Spezialität sogenannte hyperbolische Paraboloidschalen (kurz: Hyparschalen) waren, wird soll nun in Wismar im Norden Mecklenburg-Vorpommerns akribisch wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Möglich macht dies ein vom Bundesbildungsministerium gefördertes Kooperationsprojekt der Hochschule Wismar und des Archivs der Akademie der Künste in Berlin, das im März gestartet wurde. Zwei Personalstellen in Wismar, für einen Wissenschaftler und eine Archivarin, ermöglichen es, den dort seit dem Jahr 2006 lagernden Nachlass von Ulrich Müther zu sichten, zu ordnen und aufzubereiten.
Die Aufgabe ist groß: 270 Regalmeter Akten und mehrere tausend Originalzeichnungen zu den 74 errichteten, 38 nicht verwirklichten und rund 50 noch erhaltenen Müther-»Schalen« hütet die Fakultät Gestaltung der Hochschule Wismar. Hinzu kommen Architekturmodelle. Das Forschungsprojekt sichert die Personalstellen sowie die fachliche Beratung durch die Akademie der Künste Berlin zunächst bis zum Februar des Jahres 2020.
Nicht nur wegen der zeitlichen Begrenzung des Projektes ist Eile geboten. Das Archiv will auch einen Beitrag leisten, um bedrohte Müther-Bauten zu erhalten. Parallel zur Erschließung der Bestände bringt das Müther-Archiv deshalb Broschüren zu bedeutenden Bauwerken heraus. Das jüngste ist den sechs Schalenbauten Müthers in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt Magdeburg gewidmet. Dazu gehört sein größter noch erhaltener Bau, die im Jahr 1969 als Messehalle errichtete Hyparschale im Park Rothehorn. Sie ist in desolatem Zustand, der Beton hat Risse. Das Gebäude wurde deshalb schon vor Jahren baupolizeilich gesperrt.
»Wir wollen die Müther-Bauten und ihre Qualität bekannter machen«, sagt der Leiter des Archivs, Matthias Ludwig, der an der Fakultät Gestaltung der Hochschule in Wismar lehrt. Für viele der Bauten gebe es keine Öffentlichkeit und damit auch kein Bewusstsein, dass es sich dabei um wichtige Beiträge aus der DDR zur Architektur der Moderne handelt. Klar sei: »Der beste Schutz für Gebäude ist Öffentlichkeit.«
Erste Erfolge zeigen sich: Die Stadt Magdeburg will die Hyparschale vom Rothehorn-Park sanieren. Die Stadtvertretung hat dafür im Juni 1,7 Millionen Euro freigegeben. Wie das seit Jahren leerstehende Gebäude danach genutzt werden soll, ist noch unklar. Es gibt auch andere Schicksale: Eines der bekanntesten Gebäude Müthers, das Restaurant »Ahornblatt« im Zentrum Berlins, ist im Jahr 2000 abgerissen worden.
Der jüngste Abriss geschah nach Ludwigs Worten vor zwei Jahren in Ralswiek auf Rügen. »Es handelte sich um eine hölzerne Konzertmuschel von Müther mit geschwungener Schalenkonstruktion auf dem Gelände der Störtebeker-Festspiele«, sagt er. Der Bau habe nicht unter Denkmalschutz gestanden.
Der »Teepott« neben dem Leuchtturm von Warnemünde hingegen ist ein beliebter und für den Tourismus genutzter Blickfang. Ein futuristischer Rettungsturm am Strand von Binz ist heute Standesamt und wird derzeit saniert. Die Konzertmuschel von Sassnitz wird nach Ludwigs Worten ebenfalls restauriert und soll wieder in ihrer alten Funktion genutzt werden.
Das aufgearbeitete Müther-Archiv soll auch neu eingerichtete Archivräume im Dachgeschoss der Fakultät Gestaltung in Wismar bekommen. Ludwigs Pläne gehen noch weiter: Er will weitere bauingenieurtechnische und architektonische Leistungen in den früheren DDR-Nordbezirken aufspüren und im Archiv für die Zukunft bewahren.
Ein Beispiel dafür ist die »REH«, die »Raumerweiterungshalle«, die vielerorts in der DDR zu finden war. Dabei handelte es sich um eine Leichtbauhalle aus bis zu acht teleskopartig ausziehbaren Tunnelelementen. Ineinandergeschoben konnten die Elemente einer ganzen Halle auf einem Lastwagen-Anhänger transportiert werden. »Hergestellt wurde die ›REH‹ von einer Firma in Boizenburg«, sagt Ludwig.
Viele der nach der Wende noch vorhandenen Exemplare seien verschrottet worden, erklärt Ludwig. Er will die »REH« vor dem Vergessen bewahren. Die Hochschule Wismar könnte sich gut vorstellen, dass auch der Nachlass des Boizenburger Firmengründers in das Müther-Archiv aufgenommen wird, sagt er. dpa/nd
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