Viele Verletzte und Festnahmen bei Protesten in Tunesien

Bei Demonstrationen in mehreren Städten kommt es erneut zu gewaltsamen Zusammenstößen

  • Lesedauer: 3 Min.

Tunis. In mehreren Städten Tunesiens ist es in der zweiten Nacht in Folge zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften gekommen. Mehr als 200 Menschen seien festgenommen und dutzende verletzt worden, teilte das Innenministerium am Mittwoch mit. Ein Ministeriumssprecher sagte örtlichen Radiosendern, landesweit seien 49 Polizisten verletzt und 206 »Unruhestifter« festgenommen worden. Er warf den »Randalierern« vor, sie seien von politischen Führern bezahlt worden.

Die Proteste richten sich gegen steigende Lebenshaltungskosten und die Sparpolitik der Regierung. Die einflussreiche Gewerkschaft UGTT erteilte »der Gewalt und den Plünderungen« eine Absage. Die Gewerkschaft rief die Demonstranten dazu auf, »friedlich zu protestieren«, um nicht von Parteien »benutzt« zu werden, die nicht das Gelingen »unserer gerade geborenen demokratischen Erfahrung« wollen. Allerdings seien die sozialen Forderungen der Demonstranten legitim, erklärte die Gewerkschaft.

In einer Vorstadt von Tunis wurde am Dienstagabend ein Supermarkt geplündert. Laut Zeugenangaben warfen Jugendliche Steine in die Schaufenster. Anschließend hätten sie das Chaos genutzt, um das Geschäft zu plündern. Vor allem hätten sie elektrische Haushaltsgeräte gestohlen. Die Polizei griff mit Tränengas ein.

In der Nacht auf Mittwoch gab es unter anderem in Tebourba rund 30 Kilometer westlich der Hauptstadt Tunis Proteste. Dort gingen hunderte junge Menschen auf die Straße. Sie bewarfen Sicherheitskräfte mit Steinen, diese reagierten mit dem Einsatz von Tränengas, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete.

Ähnliche Szenen spielten sich auch in den Städten Sidi Bouzid, Kasserine, Gafsa, Jedaida sowie in ärmeren Vororten von Tunis ab. Auf der Insel Djerba wurden nach Angaben eines Sprechers der jüdischen Gemeinde Tunesiens zwei Molotowcocktails auf zwei Talmudschulen geworfen. Im Inneren der Schulen habe es keine Schäden gegeben, ergänzte der Sprecher. In Tunis selbst blieben die Demonstrationen friedlich. Etwa 100 Menschen gingen in der Hauptstadt auf die Straße.

Die Proteste folgten auf die Beerdigung eines Mannes, der bei einer Demonstration am Montag ums Leben gekommen war. Offen ist nach wie vor, wie es zum Tod des Demonstranten am Montagabend in Tebourba kam. Der Obduktionsbericht wurde bislang nicht veröffentlicht. Das Innenministerium bestritt, dass die Polizei den 45-Jährigen tötete.

Das Auswärtige Amt veröffentlichte am Mittwoch auf seiner Internetseite einen aktuellen Hinweis zur Lage in Tunesien. Reisende werden darin gebeten, »Menschenansammlungen weiträumig zu meiden« und den »Anweisungen von lokalen Sicherheitskräften Folge zu leisten«.

Tunesien hat nach den Umbrüchen in der Arabischen Welt 2011 zwar den Übergang zu einer Demokratie nach westlichem Vorbild absolviert, kämpft aber mit großen wirtschaftlichen Problemen und einer hohen Arbeitslosigkeit. Zu Jahresbeginn war ein neues Finanzgesetz in Kraft getreten, das unter anderem Steuererhöhungen mit sich brachte. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.