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»Gezielter Angriff auf einen ganzen Stadtteil«
Zwei Jahre nach Naziattacke im Leipziger Szeneviertel Connewitz stehen Verfahren nur gegen die Hälfte der vermuteten Täter in Aussicht
Und doch waren die über 200 Angreifer, die auf Kommando Läden und Kneipen zertrümmerten, Passanten angriffen und Böller warfen, Nazis – und zwar gut organisierte, sagt die Journalistin Heike Kleffner: Mitglieder von Kameradschaften aus dem Leipziger Umland, aus Dresden, Halle und Thüringen; Angehörige verbotener Gruppierungen wie »Blood & Honour«, rechte Fußball-Hooligans. Die Namen wurden zwischenzeitlich durch Antifakreise veröffentlicht. Etliche der Angreifer hätten »lückenlose Nazikarrieren seit den 1990er Jahren« und zählten Angriffe auf politische Gegner zu ihrem festen Repertoire, sagt Kleffner.
Der Angriff war, wie heute klar ist, langfristig geplant und erfolgte zu einem symbolträchtigen Zeitpunkt: In der Innenstadt beging der lokale Pegida-Ableger Legida sein Einjähriges; einer der Redner war der Sänger der Rechtsrockband »Kategorie C«. Als er »Happy Birthday« wünschte, schlug der Trupp in Connewitz los. Die Polizei war nicht vorbereitet. Sie und der Verfassungsschutz hätten sich vorab nur auf linke Proteste gegen Legida konzentriert, sagt Jule Nagel, Landtagsabgeordnete der LINKEN, die heute gern erführe, was Sicherheitsbehörden damals »wissentlich verpeilt« haben – und »was man bei Legida über den Angriff wusste«.
Manches wird vielleicht in den Gerichtsprozessen klar, die offenbar bevorstehen. Laut »Leipziger Volkszeitung« hat die Staatsanwaltschaft kurz vor dem zweiten Jahrestag des Angriffs 51 Verfahren gegen 100 Beschuldigte an Gerichte abgegeben: die meisten an das Amtsgericht Leipzig, einige wenige nach Dresden, wo eine Strukturermittlung gegen die »Kameradschaft Dresden« läuft. Angeklagt wird wegen besonders schweren Landfriedensbruchs. Bei dem Überfall wurden 23 Läden sowie viele Autos angegriffen; es entstand Schaden in sechsstelliger Höhe.
Viel Hoffnung setzt man in Connewitz indes nicht in die Gerichte. Der Anklagevorwurf sowie die Verhandlung am Amtsgericht gäben »nicht viel her«, sagt Nagel – Haftstrafen von vier Jahren seien die Obergrenze. Zudem werde nicht einmal die Hälfte der Beteiligten angeklagt. Nagel hielte es für wichtiger, gegen die Strukturen vorzugehen, in denen diese kooperieren »und die wir seit vielen Jahren kennen«. Dennoch haben Gerichtsurteile eine Bedeutung. Kleffner erinnert daran, dass es nach Übergriffen von teils denselben Tätern am Rande der Aufmärsche von Pegida in Dresden keinerlei Strafverfolgung gegeben habe – »wodurch sich diese ermutigt fühlten«, auch in Leipzig zuzuschlagen. Die Dresdner Scharmützel seien gewissermaßen »Probeläufe« für Connewitz gewesen.
Im Viertel selbst sitzt der Schock noch immer tief – eine Attacke, die als »gezielter Angriff auf einen ganzen Stadtteil« verstanden wird, wie RSL-Kicker Max formuliert. Am Tag danach gab es eine wütende Demonstration; es folgten Stadtteil-Gesprächsrunden oder Beratungen dazu, wie einzelne Häuser gegen Naziattacken zu schützen seien – etwas, worüber man sich zuvor »keine Gedanken gemacht« habe, sagt Hausprojektbewohner Ivo. Neben derlei praktischen Schritten gibt es ein enormes Interesse an einer Aufarbeitung der Vorfälle.
Bei einer Podiumsdiskussion diese Woche reichten im Kino UT Connewitz die Klappsitze vorn und hinten nicht; Besucher saßen auch auf dem Boden und drängten sich in den Gängen. Ein Infoladen im Kulturzentrum Conne Island hat zudem Material zu dem Angriff zusammengetragen, weil, wie die Aktivistin Marie formuliert, »der Überfall ein Stück Stadtgeschichte ist, auch wenn sich das zuständige Museum damit natürlich nicht befasst«.
Am unmittelbarsten mit den Auswirkungen des Überfalls konfrontiert wird wohl der Rote Stern – weil die Kicker des Vereins einzelnen Angreifern bei Spielen im Leipziger Umland regelmäßig auf dem Feld gegenüberstehen. Das wurde mit Publikation der Täternamen klar, die für Erschrecken sorgte: »Unfassbar«, sagt Spieler Max. Wie RSL-Mannschaften damit umgehen, besprechen sie im Einzelfall.
Die Herren der 1. Mannschaft bestehen darauf, dass bekannte Angreifer nicht auf dem Rasen und nicht einmal im Stadion sind – und nehmen auch Eklats in Kauf: Als bei einem Spiel in Borna die Gastgeber ihren Führungstreffer mit Trikots von drei mutmaßlich Tatbeteiligten bejubelten, brach RSL das Spiel ab. Die 3. Mannschaft entschied sich in einem ähnlichen Fall, das Spiel fortzusetzen – weil man, sagt Teammitglied Georg, der Truppe um den Connewitz-Angreifer »nicht auch noch die Punkte überlassen wollte«.
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