Es wurde gekämpft, aber auch geliebt

Vietnam-Skizzen von Anna Mudry wider das Vergessen

  • Hellmut Kapfenberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Autorin und Verlag sind ein Wagnis eingegangen, über dessen Erfolg oder Misserfolg die Leser befinden werden. Ein Büchlein, erstmals 1975 im Ostberliner Verlag Neue Welt unter dem Titel »Bis zum befreiten Süden« erschienen, kam nun in Pirmonis Buchreihe »Menschen unterwegs« noch einmal auf den Markt - unter einem anderen Titel. Was da vor 43 Jahren zu Papier gebracht worden war und jetzt etwas überarbeitet, gelegentlich um knappen historischen Abriss ergänzt, noch einmal angeboten wird, resultierte aus Visiten der Autorin in Nordvietnam im Kriegsjahr 1969, in dem der USA-Bombenkrieg gegen Nordvietnam ruhte, sowie aus dem Jahr 1973, einige Monate nach Abschluss des Pariser Friedensabkommens.

Ihre seinerzeitigen Erlebnisse, Begegnungen und Gedanken, gewürzt mit als notwendig erachteten Erläuterungen zu Land und Leuten, wollte die Autorin nicht als »Kriegsberichterstatterin«, sondern als »solidarische Berichterstatterin« niedergeschrieben haben, so im neugefassten Vorwort. Konnten Kriegsberichterstatter hiesiger Herkunft nicht »solidarische Berichterstatter« sein? Ihr Anliegen, so die Autorin, sei es gewesen, darüber zu berichten, »welche Auswirkungen der Einsatz der übermächtigen Kriegsmaschinerie ... auf die Menschen des kleinen südostasiatischen Landes hatte, über Leben und Sterben hinaus auf die Lebensentwürfe der Menschen und ihre vielfachen Beziehungen im Alltag, im Familienleben, in ihren sozialen und kulturellen Bindungen«. Resümierend lässt sich sagen, dass ihre Arbeit diesem Anliegen gerecht wird. Die Autorin lässt Menschen, junge und alte, im Norden Vietnams zu Wort kommen, als Kontrast eingeflochten darin Passagen über Terror und Widerstand im Süden.

Viele Einzelschicksale künden von unsäglichen Entbehrungen, Opfern und unermesslichem Leid, von Leben und Arbeit unter Bomben, von zähem Ringen um weitere Existenz. Sie lassen aber auch keinen Zweifel an der Entschlossenheit im Kampf gegen den Aggressor ebenso wie an der Sehnsucht nach Frieden in einem freien und geeinten Vietnam. Es wurde gekämpft, aber auch geliebt und geheiratet, kulturelle Betätigung selbst unter Bomben war ein Bedürfnis. Alltag unter Kriegsbedingungen.

Dem Büchlein sei der erhoffte Erfolg gewünscht, doch es fragt sich, was vor fast einem halben Jahrhundert dokumentierte Momentaufnahmen aus Kriegszeiten heutigen Lesern zu vermitteln vermögen. Werfen sie nicht zu viele nicht beantwortete Fragen auf? Geht es doch nicht wie in landläufigen Reiseberichten schlicht um das Kennenlernen von Land und Leuten, sondern um Verständnis dank einem gewissen Grad an Hintergrundwissen. Anders gesagt: 1975 stießen Mudrys Berichte auf eine in Sachen Vietnam-Krieg bestens informierte Leserschaft in der DDR und waren willkommene Ergänzung dessen, was Presse, Rundfunk und Fernsehen an Wissen über das gemarterte Vietnam vermittelten.

Heute haben selbst 50-Jährige hierzulande die Jahre jenes imperialistischen Aggressionskrieges nicht mehr bewusst erlebt, rangiert Vietnam in Politik und Medien leider unter »ferner liefen« und ist zudem so manchem der Blick auf derlei Vergangenheit verstellt. Insofern kann es nur gut sein, unentwegt gegen Unwissen und Vergessen in solch weltbewegender Sache anzugehen, auf welche Art und Weise auch immer.

Eine kritische Fußnote sei dem Rezensenten gestattet, der sieben Jahre als Journalist in Vietnam gearbeitet hat und notgedrungen auch Kriegsberichterstatter war. Für den landes-unkundigen Leser mag es unerheblich sein, dass die Neuauflage nicht dazu genutzt wurde, diverse fehlerhafte Namenschreibweisen zu korrigieren. Unerklärlich ist, warum die Nationale Befreiungsfront (FNL) Südvietnams - ein zwar kommunistisch geführter, aber zweifelsfrei heterogener Zusammenschluss patriotischer Kräfte unterschiedlichster Couleur - und ihre bewaffneten Einheiten wiederholt unkritisch mit dem von den USA-Aggressoren und Saigon wie im Westen überhaupt strapazierten Terminus »Viet Cong« (Kommunisten) belegt werden.

Auch die häufige Rede von Grenze, Grenzregion, Grenzfluss zwischen Nord- und Südvietnam in jener Zeit wäre zu vermeiden gewesen, gab es doch eine Grenze im Wortsinne laut Genfer Indochina-Abkommen von 1954 ausdrücklich nicht, sondern einzig eine als militärische Demarkationslinie bezeichnete Trennlinie. Scheitern musste auch das Unterfangen, Ho Chi Minhs 30 Jahre Zwangsaufenthalt im Ausland (1911 bis 1941) auf einer halben Buchseite erfassen zu wollen.

Anna Mudry: Vietnam. Gesichter und Schicksale. Pirmoni-Verlag, 193 S., br., 14,90 €.

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