Warum Athen auf eine Große Koalition hofft

Die griechische Regierung unter Alexis Tsipras (SYRIZA) sucht europapolitisch den Schulterschluss mit Emmanuel Macron und Martin Schulz

  • Elisabeth Heinze, Thessaloniki
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit dem Jahreswechsel trete Griechenland »in eine Ära der Normalität« ein, erklärte der griechische Premier Alexis Tsipras anlässlich des Dreikönigstags bei einem Besuch auf der Insel Kalymnos unweit der türkischen Küste. Im August läuft das aktuelle Kreditprogramm Griechenlands mit der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, dem Internationalen Währungsfonds und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus aus.

Nicht nur Tsipras gibt sich optimistisch, dass es sich dabei um das letzte Programm handeln könnte, auch die Europäische Kommission prognostizierte nun ein Wirtschaftswachstum von rund 2,5 Prozent. Zum Ende des Jahres wolle sich das Land wieder eigenständig Staatsanleihen am Kapitalmarkt beschaffen. Wenn der SYRIZA-Chef in den letzten Monaten nicht müde wurde zu betonen, dass ein Ende der Krise noch nie so nah war, schwebt dem einstigen Gegner der mit den Krediten verbundenen Reformmaßnahmen offenbar ein märchenhaftes Happy End vor. Mit Kürzungen, Privatisierungen und Zwangsversteigerungen hatte sich Tsipras in der Bevölkerung und in den eigenen Reihen unbeliebt gemacht. Doch könnte sich die »Reformbereitschaft« - aus seiner Sicht - nun umso mehr gelohnt haben.

Im Schulterschluss mit neuen und alten Verbündeten wie dem SPD-Chef Martin Schulz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron soll nicht mehr (nur) Griechenland, sondern Europa gerettet werden. Beide Politiker lancieren Ideen zur Neuausrichtung der Europäischen Union (EU). Macrons vorgeschlagener EU-Umbau sieht unter anderem ein demokratischeres EU-Parlament und ein gemeinsames Budget der Eurozone vor. Schulz möchte die »Vereinigten Staaten von Europa« bis 2025. Von einer Stärkung der EU in diesem Sinne würde Griechenland, so die Haltung der SYRIZA-Regierung, profitieren.

Schon im November ermutigte Tsipras deshalb griechischen Medienberichten zufolge Martin Schulz per SMS, die Große Koalition fortzusetzen und eine für Europa »progressive Agenda vorzulegen«. Mit einer Regierungsbeteiligung der SPD erhofft sich die griechische Regierungspartei vor allem, dass der von Macron anvisierte EU-Umbau angegangen wird.

Bei seinem Staatsbesuch in Athen im letzten September inszenierte Macron eine Grundsatzrede über Europa vor dem Hintergrund der Akropolis. »Die sogenannte griechische Krise« nannte er eine europäische, eine Krise der Demokratie. Eine solche Neuauflage der europäischen Idee und Solidarität zwischen den Mitgliedsstaaten nimmt Griechenlands Autonomie zum Ausgangspunkt: »Der Neustart Griechenlands ist der Neustart der Eurozone«, sagte ein Präsidentenberater Macrons damals in Athen.

Ob dies umgesetzt werden kann, hängt auch an der deutschen Regierungsbildung. Um den Ausstieg aus dem Memorandum im August zu ermöglichen, braucht Griechenland Stabilität. Neben dem inhaltlichen Entwurf eines »neuen Europas« hat das eine ganz praktische Seite: Bei einer Neuwahl würde eine neue Regierung in Berlin erst im Frühsommer stehen - zu spät für Griechenland. Athen fürchtet zeitliche Verzögerungen. Außerdem ist man besorgt, dass auch die griechischen Schulden zum Gegenstand eines möglichen Wahlkampfes gemacht werden würden und die AfD an Stimmen gewinnen könnte. Nachdem Finanzminister Wolfgang Schäuble in seinem Amt abgelöst werden soll, zeigte man sich Athen erleichtert, dass der Macron-Kritiker Christian Lindner (FDP) nicht sein Nachfolger sein wird. Nun besteht die größte Hoffnung in Athen in der Übernahme des »allmächtigen« (wie es in der griechischen Presse heißt) Finanzministeriums durch die SPD.

Sowohl Schulz als auch Sigmar Gabriel haben aus Sicht von SYRIZA gute Beziehungen zum Premierminister aufgebaut. Eine Variation der Großen Koalition würde das vertraute Fremde gewährleisten; man könnte sich darauf verlassen, dass bei »Griechenlands Schuldenfrage« ein Stück weit der gleiche Kurs gefahren wird wie bislang. Schließlich sei ein Ausstieg Griechenlands aus den Kreditprogrammen bei der quasi gleichen Regierungszusammensetzung auch innenpolitisch in Deutschland gut zu rechtfertigen, meint man in Athen.

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