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Cupcakes gegen den Präsidenten
Bürgerprotest gegen Trumps Agenda: In den USA sind in den vergangenen Monaten fast 6000 »Indivisible«-Gruppen entstanden
Wie vielen anderen Liberalen sank ihr in der Wahlnacht das Herz in die Hose, als Donald Trump zum Sieger der US-Präsidentschaftswahlen erklärt wurde. »Es ist vorbei«, textete Ezra Levin per SMS an Chad Bolt. Den beiden Politprofis war klar, nun würden harte Zeiten für Linke und Demokraten anbrechen. Doch die Antwort von Bolt war eine trotzige: »Es ist niemals vorbei.«
In den nächsten Tagen und Wochen erlebten die beiden, wie bei Linken und Liberalen Trauer zu Wut und Protest wurde. »Wir beobachteten, wie sich plötzliche neue Organisationen bildeten, E-Mail-Listen entstanden und Facebook-Gruppen gegründet wurden von Leuten, die etwas gegen Trump tun wollten«, erzählte Levin später dem Fernsehsender MSNBC. Die beiden Kongressmitarbeiter wussten, wie der Politikbetrieb in Washington funktioniert, und auch sie machten sich an die Arbeit. Zusammen mit einem Dutzend anderer demokratischer Kongressmitarbeiter schrieben sie einen Guide, der Protestwilligen eine Anleitung zu erfolgreichem Protest geben sollte.
Die beiden wollten den politischen Gegner mit seinen eigenen Waffen schlagen. Sie hatten in den Jahren zuvor den Aufstieg und die Taktiken der Tea Party beobachtet. Die hatte verstanden, dass sich Abgeordnete kaum um landesweite Petitionen scheren, sondern nur um die Wähler in ihrem Wahlbezirk und um ihre eigene Wiederwahl. »Wir wollten den Leuten etwas an die Hand geben, mit dem sie ihre Kongressabgeordneten effektiv unter Druck setzen können«, erzählt Levin. Heraus kam ein 26-Seiten-Praxisguide, um Widerstand gegen die Trump-Agenda zu leisten - zunächst als Google-Dokument. Der Guide sei »nicht gerade Raketenwissenschaft«, schreiben seine Macher. Trotzdem war das Land reif für das Dokument. Bis heute wurde es über zwei Millionen Mal heruntergeladen, in den letzten Monaten haben aus jedem US-Bundesstaat über drei Millionen Nutzer die später aufgesetzte Seite des Projekts besucht.
»Die Wahl hat mich hart getroffen«, erzählt Ivonne Wallace Fuentes. Sie wohnt in Roanoke, einer 100 000-Einwohner-Stadt in Virginia mit Eisenbahner-Vergangenheit, die früher ein wichtiges Tor zum mittleren Westen war. Die Collegeprofessorin wollte etwas tun. Sie war »immer politisch interessiert«, doch erst Trump machte sie zur Aktivistin. »In den Tagen nach der Wahl haben die Leute alle möglichen Tipps herumgeschickt«, erinnert sich Wallace Fuentes im Gespräch mit »nd«. Der Indivisible Guide, erinnert sie sich, war kurz und bündig. Es war »genau das Rezept, das ich suchte«, sagt die 42-jährige Gründerin von Roanoke Indivisible, einer der zahlreichen Gruppen, die den Guide nutzen.
Die darin vorgeschlagene Taktik ist simpel: Bürger sollen kleine lokale Gruppen bilden und sich auf ihren Kongress- und Senatsabgeordneten konzentrieren. Die Basisgruppen sollen ihre Abgeordneten andauernd durch kritische Fragen bei öffentlichen Veranstaltungen, durch Besuche in ihren Abgeordnetenbüros sowie durch koordinierte Telefonkampagnen oder anderen Protest unter Druck setzen. Die immer dabei mitschwingende oder erklärte Drohung: »Wir werden, wenn nötig, dafür sorgen, dass du nicht wiedergewählt wirst.« Über 5800 Gruppen haben sich so in den vergangenen Monaten gebildet, in jedem Kongressbezirk gibt es mindestens zwei.
Die Indivisibles haben im letzten Frühling und Sommer die öffentlichen Auftritte republikanischer Abgeordneter im ganzen Land zu Protestspektakeln werden lassen und so gegen die Versuche von US-Präsident Trump protestiert, die unter Obama verabschiedete Gesundheitsreform wieder abzuschaffen. Letztlich fanden sich nicht genügend republikanische Abgeordnete, die dafür stimmen wollten.
In den letzten Monaten stemmten sich die Indivisibles gegen die Steuerreform der Republikaner und wollen das auch weiterhin tun. Außerdem engagieren sich die Gruppen für die als »Dreamer« bekannten Kinder illegaler Einwanderer, mobilisieren gegen die »Kriegstreiberei« des US-Präsidenten und wollen verhindern, dass dieser den Spezialermittler zu Russland-Kontakten, Robert Muller, feuert.
»Zuerst waren wir sechs Freiwillige, mittlerweile sind über 400 Leute auf unserer E-Mail-Liste«, berichtet Wallace Fuentes, deren Familie aus Guatemala stammt und einst vor dem Bürgerkrieg in dem mittelamerikanischen Land floh. Damit ist sie zugleich typisch und untypisch für die Mitglieder der Indivisible-Gruppen. Die werden mehrheitlich von Frauen organisiert, erzählt Wallace Fuentes. Das typische Mitglied einer solchen Gruppe sei die »weiße gebildete Mittelschichtsfrau«, meint die Anführerin der Indivisible in Roanoke.
In der Gruppe seien viele Linke, aber auch Unabhängige und einige »Republikaner mit Gewissen« aktiv. Mit ihnen besuchte Wallace Fuentes letztes Jahr immer wieder das Büro des republikanischen Abgeordneten Bob Goodlatte, um für den Erhalt von Obamas Gesundheitsreform zu demonstrieren. Nach einem dieser Besuche habe sie »gerade zu Hause Schweinerippchen gekocht«, als sie sah, dass plötzlich MSNBC über ihren Protest berichtete, erzählt die Mutter zweier Kinder.
Als Goodlatte im September 65 Jahre alt wurde - das Alter, ab dem Senioren in den USA Anrecht auf die staatliche Krankenversorgung »Medicare« haben - organisierte die Gruppe eine Party für ihn. Mit Cupcakes. »Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass er, seit er an dem Tag, an dem er die Medicare-Berechtigung erwarb, damit beschäftigt war, Hunderttausenden in Virginia eine öffentlich finanzierte Gesundheitsversorgung vorzuenthalten oder wegzunehmen.« Vor zwei Monaten kündigte Goodlatte an, bei den Kongresswahlen im November nicht noch einmal anzutreten. Der Grund dafür sei nicht nur der Indivisible-Protest, aber er habe eine Rolle gespielt, meint Wallace Fuentes: »Er hat die Stärke des Widerstands gesehen.«
Vor einer Woche haben sie in Roanoke das einjährige Bestehen der Gruppe gefeiert. Am Wochenende wollen sie genau wie vor einem Jahr wieder einen »Women’s March« organisieren, in den nächsten Monaten werden die Aktivisten dann Wähler registrieren und im November dafür sorgen, dass diese auch zur Wahl gehen. Wallace Fuentes will, dass die Welt nicht den Glauben an die USA verliert. Trump sei auch eine »Chance aufzuwachen und sich dem Nationalismus entgegenzustellen«, sagt sie. »Was wir gerade sehen, ist eine neue Protestkultur, die auch dann nicht verschwinden wird, wenn Trump vielleicht nicht mehr US-Präsident ist.«
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