Unzumutbar für Polizisten

Jüngste Abschiebung nach Afghanistan wird Anlass zu Klagen wegen überforderter Beamter

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Abend sollten in Düsseldorf 80 Menschen in ein Flugzeug verfrachtet und in das Kriegsland am Hindukusch gebracht werden. Demonstranten hatten ihren Protest angemeldet, der die Innenbehörden jedoch kaum von ihren Plänen zurückhalten würde, wie allen Beteiligten klar war. Dafür würden auch Polizisten sorgen, die die Demonstranten in solchen Fällen auf Distanz halten.

Den deutschen Polizisten freilich ist bei diesem Thema nicht wohl in ihrer Haut. Das liegt allerdings nicht an den Demonstranten. Sondern an den unzumutbaren Arbeitsbedingungen jener Kollegen, die zur Begleitung der Abgeschobenen eingesetzt werden. Wenn sie ihre unglückselige Fracht in Kabul abgeliefert haben, müssen sie nach dem anstrengenden Flug ohne Waffe und Funkgerät das Flugzeug bis zum Rückflug bewachen, war zu lesen. Mit Westen, die sie als deutsche Polizisten erkennbar machten.

Zu gefährlich? Nur 35 Beamten hätten sich für die Begleitung am Dienstag gefunden, berichteten Medien noch drei Tage vor der Abschiebung. Sorge um die an solchen Dienstaufträgen beteiligten Kollegen äußerte grundsätzlich Jörg Radek, führender Gewerkschafter der Polizei GdP, der die Forderung nach mehr Personal für die Rückführung abgelehnter Asylbewerber als überaus dringlich darstellte. Allein im Jahr 2016 habe es insgesamt 243 Sammelabschiebungen gegeben, nicht nur nach Afghanistan, sondern auch auf den Westbalkan und nach Westafrika, sagte Radek im Bayerischen Rundfunk. »Und wir haben dafür nicht mehr Personal bekommen.«

Die Arbeitsbedingungen von Polizisten bei Sammelabschiebungen sind ein brisantes Thema. Die Bundespolizei sei auf ein solches Ausmaß an Rückführungen personell nicht vorbereitet, wurde der GdP-Vizechef zitiert. Dabei handele es sich um eine »Aufgabe mit einem unglaublich hohen Koordinierungsaufwand«. Sogar ganz normale Kontroll- und Streifenbeamte müssten notgedrungen eingesetzt werden.

Die Abgeschobenen selbst fanden am Dienstag Fürsprache wie immer nur in Zwischenrufen von Demonstranten, Flüchtlingsräten oder Abgeordneten wie der Linkspolitikerin Ulla Jelpke, die daran erinnerte, dass die Taliban längst etwa in ländlichen Regionen Afghanistans ihr Schreckensregime längst wieder errichtet hätten. Fast täglich gibt es Meldungen von Gefechten oder Anschlägen. Auch in Kabul ist es nicht sicher, wovon nicht nur der Anschlag nahe der deutschen Botschaft im letzten Jahr zeugte, sondern erst am Wochenende ein Angriff auf ein Luxushotel, bei dem es Dutzende Tote gab.

Die Angst deutscher Polizisten ist also durchaus begründet. Ebenso aber Warnungen, dass abgeschobene Afghanen sehenden Auges in den Tod geschickt werden - was ein Verstoß gegen internationales und deutsches Recht wäre. Pro Asyl erklärte zu dem Anschlag vom Wochenende, er strafe die Vorstellung der deutschen Asylbehörden Lügen, es gebe sichere Gebiete in Afghanistan. Das Außenamt kann sich seit 2016 zu keiner aktuellen Lagebeurteilung des Landes entschließen, obwohl sein Urteil entscheidend für die Beamten in den Asylverfahren ist. Internationale Untersuchungen jedenfalls stufen Afghanistan als zweitgefährlichstes Land weltweit nach Syrien ein.

Die Bundesregierung spricht von »sicheren Gebieten« im Land. Sie setze offenbar auf einen Gewöhnungseffekt, so Pro Asyl. Das liegt nahe, da ein anderer Effekt eigentlich nicht erkennbar ist. 61 Prozent der Klagen gegen Asylbescheide von Afghanen sind erfolgreich. Und das Argument der Bundesregierung, bei den Abgeschobenen handele es sich um Ausnahmen, lässt die Frage entstehen, wozu die Ausnahmen nötig sind. Es gehe nur um »Straftäter, Gefährder sowie Personen, die sich hartnäckig ihrer Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern«, betonte Staatssekretär Ole Schröder für das Bundesinnenministerium in einer parlamentarischen Befragung der Bundesregierung. Doch immer wieder finden sich Beispiele unter den Betroffenen, auf die diese Charakterisierung nicht zutrifft. So auch bei der jüngsten Abschiebung. Unter den Betroffenen sei ein junger Mann, der in Afghanistan wegen einer vorehelichen Liebesbeziehung zum Tod durch Steinigung verurteilt wurde, teilte Ulla Jelpke mit. Sie nennt dies einen »an Zynismus kaum zu überbietenden Skandal«.

Pro Asyl berichtete von einem der angeblichen Identitätsverschleierer: Dieser hatte sich um einen Pass bemüht und beim afghanischen Konsulat vorgesprochen, wie ihm schriftlich bestätigt wurde. Der Pass wurde ihm jedoch verweigert, da er keine Tazkira (eine afghanische Geburtsurkunde, die man nur in Afghanistan bekommt) besitzt. Der junge Mann hatte fast sein gesamtes Leben im Iran verbracht. Eine solche Geburtsurkunde kann man von Deutschland aus auch nicht beantragen. Weitere Bemühungen waren ihm somit nicht möglich, da er keinerlei Verwandte in Afghanistan hat. Mit Agenturen

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