Fluchtweg in die Freiheit

Colson Whitehead hat einen historischen Roman über die Sklaverei geschrieben, der auch phantastische Elemente enthält

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch wenn der 1969 in New York geborene Colson Whitehead hierzulande noch nicht Kultstatus besitzt, in den USA gilt er als einer der renommiertesten Gegenwartsschriftsteller. Für seinen jüngsten Roman »Underground Railroad« erhielt der in Manhattan lebende afroamerikanische Schriftsteller die zwei wichtigsten Literaturpreise in den USA, den Pulitzerpreis und den National Book Award. Das haben bisher nur wenige geschafft, unter anderem John Updike und William Faulkner.

»Underground Railroad« ist dementsprechend ein außergewöhnliches Buch, wobei Whiteheads Romane immer etwas Besonderes sind. Sein 2001 erschienener enzyklopädischer Pop-Roman »John Henry Days« fiel unverständlicherweise beim hiesigen Feuilleton durch, und auch sein kongenialer gesellschaftskritischer Krisen-Zombie-Roman »Zone One« (2011) konnte sich, anders als in den USA, im hiesigen Literaturbetrieb kaum behaupten. Dass Whitehead nun einen historischen Roman über die Sklaverei geschrieben hat, der aber auch einige phantastische Elemente enthält, mag zum Erfolg des Buches in den USA beigetragen haben, wo das Thema Rassismus derzeit eine große Rolle spielt.

Erzählt wird die Geschichte der 15-jährigen Cora, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, noch vor dem amerikanischen Sezessionskrieg, von einer Plantage in Georgia Richtung Norden flieht. Mithilfe der titelgebenden »Underground Railroad« gelingt es ihr, über South und North Carolina, Tennessee und Indiana in den Norden zu entkommen, wo es zu diesem Zeitpunkt bereits keine Sklaverei mehr gibt. Diese »Underground Railroad« gab es tatsächlich, nur war sie keine wirkliche Eisenbahnstrecke, sondern ein Fluchthilfe-Netzwerk, das abolitionistische Gegner der Sklaverei aufgebaut hatten, um schwarze Menschen bei ihrer Flucht aus den Südstaaten logistisch mit Übernachtungsmöglichkeiten, Essen und Transporten zu unterstützen.

Bei Colson Whitehead wird aus der »Underground Railroad« eine tatsächliche Eisenbahn, die durch dunkle Tunnel Menschen in die Freiheit befördert. »Am einen Ende steht, was man war, bevor man in den Untergrund ging, und am anderen Ende tritt ein neuer Mensch ins Licht hinaus. Die Welt droben muss so gewöhnlich sein verglichen mit dem Wunder darunter.«

Mit diesem erzählerischen Kniff materialisiert Colson Whitehead diese über die vier Jahrzehnte von 1810 bis 1850 genutzte Fluchtroute, mit deren Hilfe schätzungsweise 100 000 schwarze Menschen aus der Sklaverei der amerikanischen Südstaaten flohen. Mit verstörend grausamen Szenen schildert er das Leben auf den Plantagen des Südens, aber auch die Jahre andauernde Flucht Coras.

Immer wieder wird ihr unerträglich strapaziöser Weg in die Freiheit unterbrochen. Mal ist sie zusammen mit Ceasar, der sie auf der Plantage zur Flucht animiert hatte, monatelang in South Carolina, wo sich viele befreite und entlaufene ehemalige Sklaven ansiedeln. Doch dann bemerken die beiden, dass die vermeintliche Freiheit mit einem rassistischen Zwangssterilisationsprogramm einhergeht. Eine halbe Ewigkeit verbringt Cora später in einer Stadt in einem Haus am zentralen Platz, auf einem Dachboden eingesperrt, von wo aus sie die Hinrichtungen entlaufener Sklaven mit ansehen muss.

Als sie schließlich auf einer Farm in Indiana wie in einer Kommune mit anderen Schwarzen lebt, lässt die Gewalt der weißen Rassisten nicht lange auf sich warten. Denn auch wenn Cora dem sadistischen Sklavenbesitzer in Georgia entkommt, der dahinterstehenden rassistischen Gewalt, die allgegenwärtig ist im Amerika des 19. Jahrhunderts und die Whitehead als grundlegend für die historische Entstehung der amerikanischen Gesellschaft schildert, kann sie nicht wirklich entfliehen.

Colson Whitehead: Underground Railroad. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. C. Hanser Verlag, 352 S., 24 €.

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