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Keine klassische Jugendliteratur

Das erstmals vom Senat vergebene Comicstipendium geht an den Zeichner Mikael Ross

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

Mikael Ross beschäftigt sich für seinen neuen Comic mit der niedersächsischen Siedlung Neuerkerode (Landkreis Wolfenbüttel), in der über 800 Menschen mit geistigen Behinderungen leben. Der Berliner Zeichner soll im Auftrag der Stiftung Neuerkerode das Leben aus der Sicht eines oder mehrerer Menschen dort in Szene setzen.

Ross ist dafür eine gute Wahl, denn in seinen beiden bisher erschienenen Comics stellt er seitenweise bildgewaltig psychische Ausnahmezustände dar. Für das Berliner Comicstipendium, das kürzlich erstmals vom Senat vergeben wurde, hat das aber wohl eher keine Rolle gespielt (die Senatsverwaltung für Kultur veröffentlicht keine Begründung der Jury, warum aus 105 Bewerbungen die von Ross ausgewählt wurde). Gefördert werden sollen nämlich aktuelle Projekte. Es ist kein Preis für erschienene Arbeiten. Der Künstler erhält nun von der Landesregierung acht Monate lang jeweils 2000 Euro.

Das aktuelle Projekt muss also überzeugt haben - die beiden bisher von Ross gezeichneten Comicbücher haben das definitiv auch. Zusammen mit dem belgischen Texter Nicolas Wouters hat er sich klassische schwierige Lebenssituationen ausgesucht, die von den beiden in starken Farben in den Exzess getrieben werden.

Im 2014 erschienenen »Lauter Leben« treffen sich zwei Jugendfreunde wieder, die gegensätzliche Lebensentwürfe gewählt haben. Der eine hat Geld, (Ex-)Frau und Kind, den anderen hat die gemeinsame Zeit in der Punk-Szene zum obdachlosen, aggressiven, alkohol- und drogenabhängigen Punker der üblen Sorte werden lassen. Dessen Exzesse werden mit den Mitteln des Comics zelebriert, wobei sich in dem generell zeichnerisch düster ausgeleuchteten Buch die dunklen Töne mit großflächigem Rot mischen.

Ähnlich das 2016 erschienene »Totem«. Hier geht es um einen Jungen, der in ein Pfadfinder-Zeltlager gesteckt wird, während er sich um seinen kleinen Bruder Sorgen macht, der mit einem sehr ernsten Problem im Krankenhaus liegt. Wouters und Ross spannen die Geschichte in großen Bildern in einer Weise weiter, die sich der Realität entzieht. Die Bilder erzählen von aggressiven älteren Jungen, Ritualen, Mutproben und ersten sexuellen Gedanken. »Totem« spielt vor allem im Wald, und dennoch: Auf fast jeder Doppelseite dominieren die Blau- und Schwarztöne (die in Grün gehaltene Titelseite führt in die Irre). So wird es zwischendurch, als unklar ist, welche Richtung die Geschichte nehmen wird, nicht nur spannend, sondern sogar unheimlich. Auch »Totem« ist dennoch ein sehr farbiges Buch und hebt sich durch seine tollen Farbkompositionen von der Masse der Comics ab. Das tut dieses Werk auch in thematischer Hinsicht: Der Inhalt ist ein klassisches Jugendthema, umgesetzt ist das aber so heftig und realitätsfern-verspielt, dass wohl viele Eltern dieses Buch ihrem 14-jährigen Kind nicht ans Herz legen würden.

In der Siedlung Neuerkerode geht es hingegen ruhig zu, wie eine Arte-Reportage vom Januar 2017 zeigt, für die der Fernsehsender Ross bei seiner Arbeit in Niedersachsen begleitete. Ob der neue Comic trotzdem wieder so düster ausfallen wird, bleibt unklar, denn Ross will sich dazu nicht öffentlich äußern.

Der 1984 geborene Künstler hat an der Bayerischen Staatsoper in München eine Ausbildung in Theaterschneiderei und Modedesign absolviert. Da er in seiner Freizeit aber ständig gezeichnet habe, habe er den künstlerischen Weg eingeschlagen und sich an der Kunsthochschule in Brüssel beworben, erzählte er einmal dem deutsch-französischen Gemeinschaftssender Arte. In Frankreich wird er seit Jahren veröffentlicht und geehrt.

In Berlin gibt Mikael Ross an der Kunsthochschule Weißensee, wo er ebenfalls studiert hat, und an der Jugendkunstschule Charlottenburg-Wilmersdorf Comic-Kurse.

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