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Mehr oder weniger
Für das Rückkehrrecht aus Teilzeit, mehr Urlaub und mehr Geld bezahlen die Metallbeschäftigten einen hohen Preis
Noch einmal 13 Stunden haben die Verhandlungen zwischen IG Metall und Arbeitgebern am Montag gedauert. In der Nacht zum Dienstag treten die Verhandler in Baden-Württemberg dann vor die Presse. »Diesmal hat es ein bisschen länger gedauert«, sagt IG-Metall-Verhandlungsführer Roman Zitzelsberger. Kein Wunder, beide Seiten sind in dieser Tarifrunde weit voneinander entfernt gestartet. Die Gewerkschaft wollte weniger Arbeitsstunden durchsetzen, die Arbeitgeber mehr. Die IG Metall forderte sechs Prozent mehr Lohn, die Arbeitgeber gingen mit zwei Prozent ins Rennen.
Sechs lange Verhandlungsrunden und ganztätige Warnstreiks in der gesamten Republik waren nötig, bis eine Einigung in Baden-Württemberg gefunden war. In der Nacht spricht Zitzelsberger von einem »akzeptablen, guten Kompromiss«. Sein Konterpart, Südwestmetall-Chef Stefan Wolf, beginnt ebenfalls zurückhaltend, nennt den Kompromiss »tragbar«, wenngleich er auch für die Arbeitgeber schmerzhafte Elemente enthalte. Doch die Worte, die dann folgen, dürften eher Gewerkschaftern stechende Schmerzen bereiten. Wolf verzichtet dann nämlich auf das übliche »bis an die Grenze gegangen« und triumphiert: »In vielen Abschlüssen der letzten Jahre haben wir uns nicht in dem Maße so durchsetzen können, wie dieses Mal mit unserer Forderung. Wir haben sehr viel bekommen, nämlich sehr viel Öffnung bei den Arbeitszeiten nach oben.« Deshalb dürften die zusätzlichen Lohnprozente kaum schmerzen.
Beim Geld kann sich der Abschluss sehen lassen. Zum 1. April steigen die Entgelte in der Metall- und Elektroindustrie um 4,3 Prozent. Für die ersten drei Monate dieses Jahres erhalten Vollzeitbeschäftigte zudem einmalig 100 Euro. Ab 2019 kommen außerdem bis zu zwei jährliche Sonderzahlungen hinzu. Dadurch erhöht sich das Jahreseinkommen um 27,5 Prozent eines Monatseinkommens plus einen Festbetrag von 400 Euro. Dies macht bei Vollzeitbeschäftigten rund 1200 Euro aus. Die 400 Euro können Unternehmen allerdings bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten mit Zustimmung der Tarifparteien verschieben oder ausfallen lassen. Diese Differenzierungsmöglichkeit hätten sich die Arbeitgeber seit langem gewünscht, betonte Wolf.
Beim beherrschenden Thema dieser Tarifrunde, den Arbeitszeiten, hat die IG Metall jedoch einen hohen Preis bezahlt. So können die Arbeitnehmer in Zukunft ihre Arbeitszeit bis zu zwei Jahre lang auf bis zu 28 Stunden pro Woche reduzieren und danach auf ihre Vollzeitstelle zurückkehren. Dieses Rückkehrrecht ist wichtig, damit die Beschäftigten nicht in der »Teilzeitfalle« hängen. »Das ist eine absolute Neuerung in Tarifverträgen und bringt endlich auch Drive in die politische Diskussion«, lobt der Tarifexperte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Thorsten Schulten. Eine diesbezügliche Gesetzesinitiative der SPD scheiterte in der letzten Legislatur. Auch wenn dieses Vorhaben nun in Berlin erneut zur Debatte steht - verlassen kann man sich darauf nicht. Falls das Rückkehrrecht aus Teilzeit jedoch kommt, verringert sich das, was auf der Haben-Seite der IG Metall steht, noch einmal.
Denn auf der anderen Seite stimmte die Gewerkschaft einer weiteren Aufweichung ihrer in den 1980er Jahren hart erkämpften 35-Stunden-Woche zu. So kann der Anteil der Beschäftigten, die länger arbeiten, künftig in bestimmten Fällen auf bis zu 50 Prozent ausgeweitet werden. Die Möglichkeit, von den 35 Stunden abzuweichen, gibt es bereits. Aber nun kommen weitere Möglichkeiten für Betriebe hinzu. Besonders einschneidend ist die neue »Durchschnittsbetrachtung«. Demnach darf nun die Arbeitszeit in einem Betrieb im Durchschnitt nicht höher sein als 35 Stunden pro Woche. Ein Teilzeitbeschäftigter in 20 Stunden bedeute dann, dass drei andere Beschäftigte 40 statt 35 Stunden arbeiten dürfen, erläutert Gesamtmetall.
Nicht durchsetzbar war auch ein Lohnzuschuss der Arbeitgeber für Beschäftigte, die für Pflege, Kindererziehung oder wegen des belastenden Schichtdienstes ihre Arbeitszeit verringern wollen. Dagegen zogen die regionalen Arbeitgeberverbände sogar vors Gericht, weil dieser Zuschuss bisherige Teilzeitbeschäftigte diskriminiere. Für diese Beschäftigten enthält die neue Sonderzahlung von 27,5 Prozent eines Monatseinkommens, die in einem eigenen Tarifvertrag geregelt ist, ein Trostpflaster. Sie dürfen dieses Geld umwandeln in sechs freie Tage - die Arbeitgeber legen dann noch zwei Tage auf eigene Rechnung obendrauf. Eröffnet wird also eine Wahloption Geld oder Freizeit, wie sie etwa bei der Bahn bereits besteht und von ver.di derzeit auch für die Beschäftigten bei der Post gefordert wird.
Wie der Tarifabschluss sich in der Praxis bewährt, wollen die Tarifparteien in zwei Jahren prüfen, weil bisher nicht klar ist, wie viele Beschäftigte beispielsweise eine reduzierte Arbeitszeit von 28 Stunden oder Verträge über 40 Wochenstunden in Anspruch nehmen. Außerdem sind die gefundenen Regelungen selbst für einen immer komplizierten Tarifabschluss außerordentlich komplex.
Kaum eine Verbesserung kommt ohne Bedingung oder Einschränkung: 400 Euro zusätzlich nur, wenn es dem Betrieb wirtschaftlich gut geht, verkürzte Vollzeit ja, aber nicht mehr als zehn Prozent der Beschäftigten eines Betriebes. Schichtarbeiter dürfen Geld in Freizeit umwandeln, aber nur, wenn sie bereits fünf bis zehn Jahre durchgehalten haben - je nach Schichtmodell. Diese Wahl haben auch Eltern mit Kindern, aber nur bis diese acht Jahre alt sind, danach ist Kinderbetreuung offenbar ein Klacks.
In der Regel übernehmen die übrigen sechs Tarifbezirke den Abschluss des Pilotbezirks. Die Verhandlungen werden am Donnerstag fortgesetzt. Nur der Osten hat noch einen großen Brocken vor sich. Eine Angleichung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden wie im Westen wird von den Arbeitgebern weiterhin abgelehnt. Die IG Metall will sie zumindest dazu bringen, darüber mit ihr zu verhandeln. Das müsse die Gewerkschaft »in unseren regionalen Übernahme-Verhandlungen für Berlin und Brandenburg sowie für Sachsen erreichen«, sagte Bezirksleiter Olivier Höbel am Dienstag. Doch die Arbeitgeber rühren bereits Beton an: »Der Osten braucht diesen Wettbewerbsvorteil weiterhin. Die längere Arbeitszeit muss bleiben«, stärkte Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger den Hardlinern in Sachsen den Rücken.
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