Die Alternative zu Nahles

Widerstand in der SPD gegen vorzeitigen Stabwechsel an Fraktionschefin wächst / Flensburger Oberbürgermeisterin Lange kündigt Kandidatur für den Parteivorsitz an

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. In der SPD formiert sich massiver Widerstand gegen eine vorzeitige Übergabe des Parteivorsitzes an Andrea Nahles. Die SPD in Schleswig-Holstein wandte sich gegen Überlegungen der Parteispitze, dass Nahles den Parteivorsitz kommissarisch von Parteichef Martin Schulz übernimmt, bevor ein Parteitag über die Neubesetzung entscheidet. Auch der Landesvorstand der Berliner SPD ist nach Informationen des rbb nahezu einhellig der Auffassung, dass zunächst einer der Stellvertreter die Partei führen sollte.

Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange kündigte überraschend ihre Kandidatur für den Parteivorsitz an. »Ich werbe für eine Basiskandidatur und möchte den Mitgliedern wieder eine Stimme geben und sie an diesem Entscheidungsprozess ernsthaft beteiligen«, begründete die 41-Jährige ihren Schritt in einem Schreiben an den Bundesvorstand, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Sie wolle den Mitgliedern wieder das Gefühl geben, »dass sie es sind, die die Stimmung und die Richtung der Partei bestimmen«.

Präsidium und Vorstand der Sozialdemokraten wollen im Laufe des Tages über das weitere Vorgehen beraten. Erwartet wurde bisher, dass Schulz seinen sofortigen Rückzug vom Parteivorsitz verkünden wird. Führende SPD-Politiker hatten sich dafür ausgesprochen, Nahles rasch zur kommissarischen Parteichefin zu ernennen. Sie müsste dann binnen drei Monaten formal bei einem Parteitag gewählt werden.

Ernennung rechtlich zulässig?

Dieser Plan stößt aber auch rechtlich auf Bedenken. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD, Harald Baumann-Hasske, sagte der »Welt« (Dienstag): »Dafür gibt es satzungsmäßig keine Grundlage, dies ist in unseren Statuten nicht vorgesehen.«

Der SPD-Landesverband in Schleswig-Holstein forderte den Parteivorstand laut »Welt« auf, auf einen solchen Schritt zu verzichten und einen der sechs Parteivize mit der Aufgabe zu betrauen. Es gehe nicht gegen die Person Nahles, sondern darum, ein geordnetes Verfahren zu finden, damit nicht der Verdacht aufkomme, da werde etwas ausgeklüngelt, sagte der Bundestagsabgeordnete Sönke Rix der Deutschen Presse-Agentur. Auch der Landesvorstand der Berliner SPD ist nach Informationen der »Berliner Morgenpost« der Ansicht, dass vor einem Parteitag keine Tatsachen geschaffen werden sollten.

Schulz hatte zunächst geplant, sich erst nach dem SPD-Mitgliederentscheid über den Eintritt in eine weitere große Koalition von der Parteispitze zurückzuziehen und an Nahles zu übergeben. Nun aber drohen die Personalquerelen um Schulz die Befragung zu überlagern. Schulz hatte nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der Union - entgegen vorheriger Aussagen - angekündigt, er wolle Außenminister in einem schwarz-roten Kabinett werden und den Parteivorsitz abgeben. Auf großen Druck hin erklärte er aber kurz darauf seinen Verzicht auf den Ministerposten.

Auch der Kölner SPD-Politiker und Vorsitzende des Vereins NoGroKo, Steve Hudson, lehnt Überlegungen ab, Nahles zur kommissarischen Parteivorsitzenden zu ernennen. Hudson sagte am Dienstag im Inforadio vom rbb, es gebe sechs Stellvertreter in der SPD, die den Statuten entsprechend vorübergehend den Vorsitz übernehmen könnten. »Frau Nahles ist nicht mal Mitglied im sehr großen Parteivorstand.« Es gehe nicht, dass an den Mitgliedern der Partei vorbei etwas entschieden werde, was anscheinend eine kleine Gruppe in einem
Hinterzimmer beschlossen habe. Ein viel besseres Verfahren wäre jetzt eine Mitgliederbefragung. Zu Fragen nach der Rechtmäßigkeit einer solchen Urwahl sagte Hudson, »Ich glaube, die Mitglieder eines Parteitags würden das Ergebnis respektieren.«

Er halte es außerdem für »nicht besonders modern«, dass es für Parteiämter oft nur einen Kandidaten gebe. »Vielleicht kommt das in Nordkorea noch vor«, bemängelte Hudson. »Das ist unsere Partei. Sie gehört nicht einem kleinen Kreis von Spitzenfunktionären in Berlin, die damit machen können, was sie wollen.« Der Verein »NoGroKo« formierte sich im Januar, um eine erneute Große Koalition zu verhindern.

Spitzenfunktionäre aus der Bundesspitze unterstützen Nahles

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer unterstützte dagegen eine vorzeitige Stabübergabe an Nahles. »Die SPD kann nicht führungslos bleiben. Es war deshalb richtig, dass Martin Schulz den Vorschlag gemacht hat, dass Andrea Nahles kommissarisch die Parteiführung übernimmt«, sagte Dreyer der Deutschen Presse-Agentur. »Für ihre Bereitschaft, die SPD in dieser schwierigen Zeit zu leiten, bin ich ihr dankbar, und ich bin sicher, dass sie diese Aufgabe gut meistern wird.« Auch SPD-Vize-Chefin Manuela Schwesig stärkte Nahles in der »Rheinischen Post« (Dienstag) den Rücken.

SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider sprach sich ebenfalls für die Fraktionsvorsitzende als neue Parteivorsitze aus. »Ich stehe fest hinter Andrea Nahles«, sagte Schneider am Dienstag im ZDF-»Morgenmagazin«. Er sei überzeugt, dass auch »viele andere führende Leute und auch Basismitglieder das tun«. Er werde sich dafür stark machen, dass Nahles »auch das Zentrum der SPD wird und auch den Parteivorsitz übernimmt«.

Die baden-württembergische SPD-Chefin Leni Breymaier kritisierte die Ankündigung der Flensburger Oberbürgermeisterin Lange, sich für den SPD-Vorsitz zu bewerben, und wandte sich zugleich gegen eine Einbeziehung der Basis. »Einen Mitgliederentscheid zu machen, nur um einen Mitgliederentscheid zu haben, das halte ich für eine Farce«, sagte sie in Südwestrundfunk. Agenturen/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.