Land unter mit Merkel

Die Meeresspiegel steigen durch den Klimawandel doppelt so schnell wie gedacht. Die neue GroKo steckt weiter den Kopf in den Sand, liest Lorenz Gösta Beutin im Koalitionsvertrag

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 5 Min.

Zu Wochenbeginn sorgte eine neue Klimawandelstudie für kurzes Atemstocken. Viel stärker als bisher errechnet, werden die Meeresspiegel weltweit ansteigen, so die im US-Fachmagazin »Proceedings of the National Academy of Sciences« (PNAS) veröffentlichte Untersuchung. Was sich auf den ersten Blick lächerlich liest – das Wasser wird jedes Jahr um zehn Millimeter höher gehen - ist auf den zweiten Blick eine schleichende Katastrophe. Im Jahr 2100, nur ein langes Menschenleben entfernt, werden die Pegel der Meere um 65 Zentimeter höher liegen als noch 2005. Bisher waren die Forscher von rund 30 Zentimetern ausgegangen.

Der Zusammenhang von Klimawandel und Meeresanstieg ist schnell erklärt. Je mehr Treibhausgase es gibt, desto höher steigt das Wasser der Weltmeere. Der Umweltschadstoff CO2 erwärmt die Luft, dadurch wird das Wasser wärmer, dehnt sich aus, das Meer braucht mehr Platz, auch das Eis an den Polkappen schmilzt, der Meeresspiegel steigt. Opfer von Überflutungen und Versalzung von Böden, Feldern und Trinkwasser werden nicht weniger als ein Drittel der Menschheit sein. Sie leben in Küstengebieten. Meistens sind es die Ärmsten der Armen. Sogar die Kindersterblichkeit steigt mit dem Meeresspiegel an, warnen die Forscher.

Und was tut Deutschland, seit Jahrzehnten CO2-Europameister? Nimmt man den Koalitionsvertrag der künftigen Merkel-Regierung als Maßstab politischen Handelns ernst, so wird einem Angst und Bange. Zur internationalen Dimension des Klimawandels nur schwammige Erklärungen, kein Wort zum 100-Milliarden-Dollar-Versprechen von Kopenhagen zur Klimafinanzierung im globalen Süden.

Stattdessen wolle man »für einen weiteren Aufwuchs der internationalen Klimaschutzfinanzierung durch Deutschland im Rahmen der Erhöhung der ODA-Mittel« sorgen. Das ist eine freche Missachtung des Völkerrechts, da diese »zusätzliche« Klimagelder zur Entwicklungshilfe vorschreibt. Die immer gern beschworene »globale Verantwortung« Deutschlands ist beim Klima- und Energiethema zu einem Auslandsmärkte-Förderprogramm für die deutsche Erneuerbaren-Branche mutiert.

Auf nationaler Ebene bekennen sich Union und SPD zwar verbal-zweckoptimistisch zu den Klimaschutzzielen 2020, 2030 und 2050 (80 bis 95 Prozent weniger Treibhausgase gegenüber 1990). Auch dem 1,5-bis-2-Grad-Limit vom Pariser Klimaschutzabkommen, das Deutschland ratifiziert hat, bleibt man auf dem Papier treu. Im selben Federstrich aber wird das nationale Klimaschutzziel für 2020 de facto aufgegeben (40 Prozent weniger Treibhausgase), wie eine Auswertung der LINKE-Bundestagsfraktion vom Energie- und Klimateil im Koalitionsvertrag zeigt.

Denn entgegen des strahlenden Klimaretter-Selbstbildes reißt Deutschland sein 2020-Klimaschutzziel um fast zehn Prozent. Die GroKo, seit Jahren in Kanzleramt und Ministerien an der Macht, will die selbst verpennte »Handlungslücke« zwar »so schnell wie möglich« schließen, doch ein paar Zeilen weiter kommt der Rückzieher. Man wolle sich anstrengen, die Treibhausgase »so weit wie möglich zu reduzieren«. Keine Gesetze, keine Regeln, nur Willensbekundungen, das hat mit gestaltender Politik nichts mehr zu tun. Frei nach der Devise: Ich streng mich an, aber wenn’s nicht klappt, auch kein Problem.

Dabei gibt es notwendige, konkrete Maßnahmen, die längst auf dem Tisch liegen und bei den Jamaika-Verhandlungen unterschriftsreif vorlagen, darunter einen Kohleausstieg mit Datum als politische Vorgabe für die Energiewirtschaft und das Abschalten der schmutzigsten Kohlekraftwerke bis 2020. Bei der GroKo dagegen? Fehlanzeige. Stattdessen soll eine Kommission gegründet werden. Nix Neues, dies war im Klimaschutzplan 2050 der Bundesregierung schon 2016 beschlossene Sache.

Dieses Palaver-Gremium aus Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften wird die eigentliche Arbeit der Regierung übernehmen. Und über die weiteren Schritte für den Abschied von der schmutzigen Kohle ratschlagen: Zeitverschwendung. Dabei wird, je länger man abwartet, das CO2-Budget immer kleiner, das Deutschland und die Welt noch in die Atmosphäre abladen können, um eine Klimakatastrophe abzuwenden.

Auch das ist eine Binsenweisheit: Je später man mit dem CO2-Einsparen beginnt, desto drastischer müssen die Einsparungen in Zukunft ausfallen, desto schwieriger wird der Strukturwandel und desto einschneidender die volkswirtschaftlichen Kosten für die Energiewende. Zwar hat die neue GroKo das Ziel für Ökostrom bis 2030 auf 65 Prozent angehoben. Allerdings bringt das dem Klima nicht viel, wenn die alten Kohlemeiler weiter schmutziges Geld für die Energiekonzerne drucken und Deutschland von einem Stromexport zum anderen rennt.

Auf der Seite des Energiesparens herrscht Windstille. Seit Jahren lässt eine echte Wärmewende auf sich warten. Will man die Pariser Klimaziele schaffen, müssten jedes Jahr drei Prozent aller Häuser, Wohnungen, Schulen und Regierungsgebäude klimaeffizient gemacht werden. Aber nicht mal das selbstgesteckte Ein-Prozent-Ziel wird geschafft. Dazu kommt die »kalte Verdrängung« von Mieterinnen und Mietern durch die dreiste Kostenumlage der energetischen Gebäudesanierung aus deren Portemonnaie.

Im Koalitionsvertrag finden sich auch dazu keine rechtlichen Mieter-Schutzmechanismen. Im Klartext heißt es in der Linkspartei-Analyse: »Die Steigerung der Gebäudeeffizienz im Bestand kann so zum Brandbeschleuniger für Verdrängung werden.« Stattdessen werden die Immobilieneigentümer weiter entlastet, sie sollen künftig steuerlich gefördert werden. Dafür soll es eine Wahlmöglichkeit zwischen Zuschussförderung und einer Reduzierung des zu versteuernden Einkommens geben. Letztere, warnt die Linksfraktion, ist »ein Geschenk für Besserverdiener, da die Abzugsfähigkeit von der Bemessungsgrundlage hohen Einkommen mehr nutzt als niedrigen.«

Land unter, Köpfe in den Sand und nach uns die Sintflut. Statt einem großen Wurf für ein so großes Problem, wie die Klimakrise, kommt auch die nächsten vier Jahre aus Berlin nur Kuschen vor den Wirtschaftslobbys, Wortgeblubber und ein Anbeten der »Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandortes«. Während die Meeresspiegel weiter steigen, das Leben von Millionen von Menschen bedroht ist, gibt die Merkel-Regierung den Kurs der Zukunft vor: Die Deiche werden höher gebaut, die Grenzen vor Klima-Geflüchteten aus Afrika mit Stacheldraht dichtgemacht, die Profite der Reichen wachsen weiter.

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