»Welt«: Deniz Yücel ist frei

Bundesregierung bestätigt geplante Freilassung des Journalisten / In den letzten Tagen hatte es Andeutungen auf eine Haftentlassung gegeben

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Berlin. Der seit gut einem Jahr in der Türkei inhaftierte »Welt«-Korrespondent Deniz Yücel ist nach Angaben der Zeitung frei. Die »Welt« machte die geplante Freilassung am Freitag unter Berufung auf den Anwalt des deutsch-türkischen Journalisten, Veysel Ok, bekannt.

Yücel sei frei, schrieb die »Welt« am Freitag bei Twitter. Yücels Anwalt Veysel Ok twitterte ein Bild des Journalisten, auf dem er seine Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel umarmt.

Die Bundesregierung hatte die geplante Freilassung von Yücel zuvor ebenfalls bestätigt. »Ich habe das Signal bekommen, dass ich die Meldung, die da zirkuliert, bestätigen kann«, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts am Freitag in Berlin.

Gleichzeitig erklärte die Istanbuler Staatsanwaltschaft laut Medienberichten, 18 Jahre Haft für den »Welt«-Korrespondenten zu fordern. Ein Gericht habe am Freitag die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft angenommen und die Freilassung Yücels angeordnet, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu.

Der Sprecher sagte, die Bundesregierung sei »erleichtert und froh« und danke der türkischen Justiz für das nun schnelle Verfahren. Er unterstrich, Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) habe sich in den vergangenen »Tagen und Stunden« intensiv um eine Lösung in dem Fall bemüht. Es habe keine »Deals« gegeben, bekräftigte er auf Nachfragen, ob es gegebenenfalls Absprachen im Bereich von Rüstungsexporten gegeben habe. Yücel hatte dies in einem Interview zuvor selbst abgelehnt. »Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung«, sagte der der DPA im Januar.

Auch Vize-Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, es habe keine Gegenleistungen von deutscher Seite gegeben. »Wir begrüßen dass als wichtigen Schritt, auf den wir alle lange hingearbeitet haben.« Nach Angaben der »Welt« teilte Yücels Anwalt Veysel Ok mit, ein Gericht in Istanbul habe die Freilassung Yücels verfügt. Der Journalist befand sich demnach aber zunächst weiterhin noch im Gefängnisgebäude.

Außenminister Gabriel rechnet damit, dass Yücel nach seiner Freilassung zügig aus der Türkei ausreisen werde. »Ich gehe davon aus, dass er das Land verlassen wird«, sagte Gabriel am Freitag vor Beginn der Sicherheitskonferenz in München. »Das ist mein Kenntnisstand«, fügte Gabriel einschränkend hinzu. Zunächst müsse jetzt abgewartet werden, bis Yücel tatsächlich auf freiem Fuß sei.

Türkische Gemeinde in Deutschland begrüßte Freilassung

Der Vorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland begrüßte die Freilassung Yücels. »Seit über einem Jahr saß Deniz Yücel unschuldig im Gefängnis. Er ist ein freiheitsliebender Mensch, ein Journalist und kein Terrorist«, sagte Gökay Sofuoglu der »Rheinischen Post«. »Es ist gut, dass das jetzt auch die Türkei kapiert hat«, fügte Sofuoglu hinzu.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch mahnte die Bundesregierung dennoch, keine problematischen Verabredungen mit der türkischen Regierung zu treffen. Bartsch zeigte sich erfreut über die Freilassung Yücels. »Ich wünsche ihm viel Kraft, sein kritischer Geist wird gebraucht - in der Türkei sicher, aber auch bei uns«, sagte Bartsch am Freitag in Berlin. Die Freude um seine Freilassung dürfe nicht vergessen machen, dass in der Türkei weiter mehr Journalisten inhaftiert seien als in jedem anderen Land. »Ich fordere die Bundesregierung auf, ihren Einfluss für die Durchsetzung grundlegender Menschenrechte in der Türkei zu nutzen und keine schmutzigen Deals mit dem Regime in Ankara einzugehen.«

Der Deutsche Journalistenverband (DJV) bezeichnete die angekündigte Freilassung als »Sieg für die Pressefreiheit«. Der Korrespondent der »Welt« habe sich in der Haft nicht unterkriegen lassen, sagte der DJV-Vorsitzende Frank Überall am Freitag. Als »absurd« bezeichnete er die Forderung der Anklage nach 18 Jahren Haft für Yücel. Nun gelte es, der Türkei klar zu machen, dass die Pressefreiheit auch für weitere inhaftierte Journalisten gelte.

Anzeichen zu einer bevorstehenden Haftentlassung des deutsch-türkischen Journalisten hatte es in den letzten Tagen gegeben. Der türkische Ministerpräsident Yıldırım hatte vor einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gegenüber der »Tagesschau« erklärt: »Lasst uns eine neue Seite aufschlagen und unsere Beziehungen noch weiter ausbauen.« In dem Interview behauptete er zudem, dass er die »Hoffnung« habe, dass der nun seit einem Jahr inhaftierte »Welt«-Korrespondent Deniz Yücel »in kurzer Zeit freigelassen wird«. Yücel war am 14. Februar 2017 wegen des Vorwurfs der »Terrorpropaganda« in der Türkei inhaftiert worden.

Deniz Yücel ist nur einer von vielen. Derzeit sitzen nach Recherchen der Zeit 155 Journalisten in der Türkei in Haft, 319 Pressevertreter wurden seit dem versuchten Putsch im Juli 2016 festgenommen. Betroffen sind Medienschaffende verschiedenster Zeitungen, Radio- und TV-Sender sowie Fotografen: von kurdischen und linken Medienhäusern, inzwischen geschlossenen Tageszeitungen, die der Gülen-Bewegung nahe standen, von konservativen und republikanischen Blättern. Einige der Gefangenen sind äußerst bekannt, wie der Investigativjournalist der »Cumhuriyet«, Ahmet Şık, andere nicht. Eine neue Welle von Verhaftungen kam nach dem 20. Januar, dem Beginn des Afrin-Krieges, ins Rollen. mit

Yücel war der erste in einer Reihe von prominenten deutschen Häftlingen in der Türkei: Im April 2017 wurde die Journalistin Mesale Tolu festgenommen, im Juli der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner. Beide sind mittlerweile auf freiem Fuß. Steudtner ist nach Deutschland zurückgekehrt, Tolu darf das Land derzeit nicht verlassen. Die Prozesse gegen beide gehen weiter. Anders als Steudtner und Tolu besitzt Yücel neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft.

Yücel berichtete seit 2015 für die »Welt« aus der Türkei. Zuvor war er Redakteur bei der »tageszeitung«. Seine Inhaftierung sorgte im In- und Ausland für Empörung. Unter dem Slogan »#FreeDeniz« setzten sich zahlreiche Unterstützer für den Korrespondenten ein. Bilder von Yücel - lässig mit Kippe, Schnurrbart, Sonnenbrille - sind zu Ikonen für die Pressefreiheit geworden. Zum Jahrestag seiner Inhaftierung ist ein Buch mit Texten des Journalisten erschienen.

Der »Welt«-Korrespondent wehrte sich vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und dem türkischen Verfassungsgericht gegen seine Inhaftierung. In Stellungnahmen zu den Verfahren warf die Türkei dem Korrespondenten Ende November vor, sowohl die kurdische Arbeiterpartei PKK als auch die Gülen-Bewegung unterstützt zu haben - eine Anschuldigung, die die Behörden an viele Journalisten richten. Die beiden Organisationen stehen auf entgegengesetzten Seiten des politischen Spektrums und gelten in der Türkei als Terrorgruppen. Agenturen/nd

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