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Kreuzberg blockiert rechten »Frauenmarsch«

Antifaschistische und feministische Gruppen erzwingen vorzeitigen Abbruch

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Checkpoint Charlie war Schluss. Dort, wo einst die innerdeutsche Grenze verlief, blockierten am Samstag hunderte Berliner den rechten »Frauenmarsch«. Passenderweise skandierte ein Gruppe von Demonstranten in einer Sitzblockade: »Wir sind die Mauer, das Volk muss weg«. Antifaschistischer Schutzwall mal anders.

Am Vormittag hatten sich mehrere zivilgesellschaftliche und antifaschistische Gruppen auf dem Mehringplatz in Kreuzberg versammelt. Der Kiez war gut auf den rechten Spuk vorbereitet. Etliche Wände schmückten Anti-AfD-Graffitis, in den Fenstern vieler Wohnungen hingen Plakate mit antirassistischen Slogans. Für die Anwohner war der Aufmarsch vor ihrer Haustür vor allem eins: eine Provokation. So auch für Manal S., die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Zusammen mit Freunden versammelte sich die Kreuzbergerin vor einem Hauseingang oberhalb der rechten Demonstration. S. kam einst als Geflüchtete nach Deutschland. Jetzt ist sie aktiv gegen Hetze. »Wir hatten eine Chance aus dem Krieg zu fliehen und hier ein neues Leben aufzubauen. Jetzt kämpfen wir dafür, dass auch andere diese Chance bekommen«, sagte sie. »Die da unten verbreiten einfach nur Hass und Intoleranz.«

»Die da unten« waren am Sonnabend rund 450 rechte DemonstrantInnen, die aus dem ganzen Bundesgebiet nach Berlin angereist waren. Angemeldet hatte die Demonstration Leyla Bilge. Einst aus Kurdistan nach Deutschland geflohen und mittlerweile zum Christentum konvertiert, hetzt das AfD-Mitglied gegen Geflüchtete und Muslime. Mit ihrer Demonstration dockt sie an eine Kampagne im Internet an, mit der Rechte in den letzten Wochen vermeintlich für Frauenrechte werben. Ihr Tenor: Sexualisierte Gewalt sei durch Geflüchtete nach Deutschland importiert worden. Die Flüchtlingspolitik bedrohe deutsche Frauen. Deshalb sei Widerstand notwendig. Auf dem rechten »Frauenmarsch« am Samstag sah man aber vor allem eins: Männer. Die wenigen Frauen wurden mehrmals lautstark dazu aufgefordert, sich in den ersten Reihen einzufinden. So geht Feminismus à la AfD.

Die Demonstration war ein Potpourri aus Anorak-Trägern mit Deutschland-Fahnen, Anhängern der Identitären Bewegung, NPD-Funktionären und Motorradrockern. Sogar Mitglieder der britischen »English Defence League« waren in die Hauptstadt angereist. Pegida-Chef Lutz Bachmann posierte gutgelaunt für Selfies – bis durch die Lautsprecher ein ironisches Pegida-Lied dröhnte und Bachmann beleidigt abzog.

Nazi wollte mal wieder niemand sein. Dass etliche Demonstranten, die neonazistische Szenemarke Thor Steinar trugen schien allerdings niemanden zu stören. Auch ein rechter Wintertrend: Wollmützen in den Farben des Deutschen Reichs. Auf dem Lautsprecherwagen prangten zwei in völkischen Kreisen beliebte Lebensrunen. Gegendemonstranten wie Hakan Taş, Abgeordnetenhausmitglied der LINKEN, wurden am Rande der Demonstration rassistisch beschimpft. Einer Familie, die die Demonstration von ihrem Balkon beobachtete, brüllte der Mob »Abschieben, abschieben« entgegen. Die Rechten beschimpften und bedrohten mehrere Journalisten. Auch die Botschaften der Plakate waren eindeutig: »Masseneinwanderung ist Völkermord«, »Stopp den Sex-Dschihad« und »Frauen gegen Islam«. Frauenrechte oder rechte Frauen? »Diese Leute instrumentalisieren den Feminismus, um rassistische Hetze salonfähig zu machen«, sagte die Bundestagsabgeordnete der Grünen und Anmelderin einer Gegenkundgebung, Canan Bayram, dem »nd« am Rande der Demonstration. »Wer, wie die AfD, keine Menschenrechte respektiert, kann schon gar keine Frauenrechte verteidigen.«

Mit Marius Müller-Westerhagens »Freiheit« in Dauerschleife zog die Demonstration mit kurzer Verspätung auf die Friedrichstraße. Flankiert wurde sie von lautstarkem Protest. Nach wenigen hundert Metern kam der Aufmarsch zum Stehen. Rund 1500 Gegendemonstranten hatten mehrere Straßen blockiert. Die Polizei versuchte die Hauptblockade am Checkpoint Charlie erfolglos zu räumen und nahm Personen fest. Drei Stunden mussten die rechten Demonstranten in der Kälte ausharren, dann beendeten die Veranstalter offiziell den Aufmarsch. Die Folge: Lange Gesichter bei den Rechten. Einige zogen sich frustriert zurück, anderen gelang es, über Umwege zum Bundeskanzleramt zu kommen. Dort hielten sie eine kurze Kundgebung ab.

Dennoch: Für die Gegendemonstranten war der Tag ein Erfolg. Auch LINKEN-Politiker Taş ist zufrieden: »Die Nazis sind nicht weiter gekommen, die demokratischen Kräfte haben sie erneut blockiert. Ich bin froh darüber, dass sich so viele ihnen in den Weg gestellt haben.«

Doch der Tag hatte ein bitteres Ende. Eine Blutlache in Sichtweite des Willy-Brandt-Hauses zeugte davon, was sich dort wenige Minuten zuvor abgespielt hatte. Wie ein Augenzeuge dem »nd« schilderte, schlug ein rechter Demonstrant bei einer Auseinandersetzung auf einen Antifaschisten ein. Der Mann wurde so schwer verletzt, dass er bewusstlos liegen blieb. Mittlerweile ist der Verletzte stabil. Aber der Vorfall zeigt: Von rechten Kräften geht eine große Gefahr aus. Nach Angaben der Polizei wurde ein Strafermittlungsverfahren eingeleitet, allerdings wegen »wechselseitiger Körperverletzung«.

Die Bilanz aus Polizeisicht: Es gab 50 sogenannte Freiheitsbeschränkungen – das können Platzverweise sein oder auch kurzzeitiges Festhalten zur Identitätsfeststellung. Außerdem wurden 13 Personen festgenommen. Insgesamt 73 Strafermittlungsverfahren, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, wurden eingeleitet. Sieben Beamte wurden verletzt, zwei konnten ihren Dienst nicht fortsetzen.

Trotz der Niederlage will Leyla Bilge zurück nach Kreuzberg kommen. Viele werden dann wieder gegen die Hetze auf die Straße gehen. Denn: Wer Kreuzberg stresst, kriegt Kreuzberg-Stress.

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