In Burg kann man Kohl abwählen

Benennung von Straßen nach dem Altkanzler stößt in Sachsen-Anhalt nicht auf Begeisterung

  • Hendrik Lasch, Burg
  • Lesedauer: 5 Min.

Ende 2002 beschloss die Stadt Burg in Sachsen-Anhalt eine Satzung über die Benennung von Straßen. Die Namen von Persönlichkeiten der neueren Geschichte, heißt es darin, sollten nur vergeben werden, »wenn deren Geschichtsbild abgeklärt ist«. Ist das bei Helmut Kohl der Fall? Die Initiative »Unser Burg« hat so ihre Zweifel. Gleich auf der Startseite ihres Internetauftritts verlinkt sie die ARD-Dokumentation »Bimbes«, die im Dezember noch einmal an die CDU-Parteispendenaffäre und die Rolle des im Herbst verstorbenen Altkanzlers erinnerte. Es bleibe, resümiert die Initiative, der »Verdacht der Mitwisserschaft und Hehlerei«.

Nicht nur aus diesem Grund macht die Initiative gegen einen Beschluss des Stadtrats vom September mobil, der vorsieht, den Platz vor dem Landratsamt in Burg nach Kohl zu benennen. Er war auf Betreiben der CDU gefasst und auch von FDP und Freien Wählern unterstützt worden. Der Widerstand ist indes erfolgreich: Mit der Sammlung von exakt 2832 gültigen Stimmen hat die Initiative durchgesetzt, dass am 18. März erstmals in der Stadt im Kreis Jerichower Land ein Bürgerentscheid stattfindet.

Die Burger Bürger können dann Helmut Kohl abwählen - kurioserweise exakt 28 Jahre nach der letzten Volkskammerwahl in der DDR, bei der die CDU mit 40 Prozent einen furiosen Wahlsieg eingefahren hatte. Dieser gründete nicht zuletzt in Auftritten Kohls im Wahlkampf, bei denen der Bundeskanzler in der DDR für die Vereinigung warb. Im Februar 1990 etwa sprach er vor 100 000 Menschen in Erfurt auf dem Domplatz. Dort soll jetzt eine Straße in der Nähe nach ihm benannt werden.

In Burg aber redete Kohl nie - was die Initiative auch als Grund gegen die Benennung eines Platzes anführt: Es gebe »keinen Bezug« zur Stadt, heißt es in ihrer Argumentation. Für sinnvoller hielte man es, Personen der Ortsgeschichte als Taufpaten heranzuziehen - eine entsprechende Liste hatte der Kultur- und Sozialausschuss des Stadtrats bereits 2011 beschlossen. Wie die Abstimmung im März ausgeht, ist schwer vorherzusehen. Einerseits hat die Initiative bei ihrer Sammlung das nötige Quorum von 2000 Unterschriften deutlich übertroffen. Andererseits liegen bei dem Bürgerentscheid die Hürden hoch: Es muss sich mindestens ein Viertel der rund 19 700 Wahlberechtigten gegen die Umbenennung aussprechen; zugleich darf die Zahl der Befürworter nicht größer sein. Darüber, wo sie ihr Kreuz setzen, müssen die Burger genau nachdenken. Die Frage ist etwas verquer formuliert, sie lautet: »Sind sie dagegen, dass es in Burg einen Dr.-Helmut-Kohl-Platz gibt?« Stadträtin Kerstin Auerbach, die für die LINKE auch im Landtag sitzt und zu den Initiatoren der Abstimmung gehört, hat versucht, das in eine verständliche Formel zu gießen. Gegner des Kohl-Platzes müssen sich demnach sagen: »Ja, ich bin dagegen.«

Der Satz scheint auch landesweit das Motto zu sein, wenn es um die Würdigung des Altkanzlers auf Straßenschildern geht. In Magdeburg fiel ein entsprechender Antrag bereits im Stadtrat durch. In Leuna gab es ebenfalls einen Vorstoß.

Die Chemiestadt Leuna hat in Sachsen-Anhalt womöglich den engsten Bezug zum früheren Kanzler. Kohl hatte dort im Mai 1994 am Spatenstich für die Raffinerie von Elf Aquitaine teilgenommen. Er soll sich zuvor stark dafür eingesetzt haben, dass der französische Mineralölkonzern im Zuge der Privatisierung in Leuna einsteigt. Das Geschäft wurde allerdings von einer Schmiergeldaffäre überschattet. Die Begeisterung für Kohl scheint sich 24 Jahre später in Grenzen zu halten. Der Vorschlag, eine Straße nach Kohl zu benennen, wurde zunächst von Leuna ins benachbarte Spergau delegiert und ist seither im Sande verlaufen.

Vollzogen wurde eine Umbenennung immerhin in Dessau-Roßlau - wo es freilich ebenfalls Ärger gibt. Er dreht sich um ein 2200 Meter langes Stück der Bundesstraße 184, die auf vier Spuren entlang der Mulde verläuft und ansonsten nach Ludwigshafen benannt ist. Der Ort in Rheinland-Pfalz ist nicht nur eine der Partnerstädte Dessau-Roßlaus, sondern auch Geburtsort Kohls, womit ein gewisser Bezug zu dem Ex-Kanzler immerhin vorhanden ist.

Woran es aber nach Meinung mancher Dessauer fehlte, war Bürgerbeteiligung. Nachdem der Stadtrat gegen die Stimmen von SPD und LINKE den Namenswechsel beschlossen und die »großen Verdienste« Kohls um die deutsche Einheit gewürdigt hatte, regte sich Unmut bei Anwohnern, die beklagen, sie seien nicht einmal informiert worden. »Wir sehen uns vor der Tatsache, die Umbenennung einfach hinnehmen zu müssen«, heißt es in der Begründung einer Petition gegen die Umbenennung, für die im Internet Unterschriften gesammelt werden. Derzeit gibt es 630 Unterstützer, davon 458 aus Dessau-Roßlau.

Die Stadt hat immerhin Befürchtungen entkräftet, die Bürger würden für die Umbenennung auch noch indirekt zur Kasse gebeten: Anschriften in Ausweisen, Pässen und Führerscheinen würden erst angepasst, wenn ohnehin neue Dokumente beantragt würden; gesonderte Kosten fielen für den neuen Straßennamen nicht an. Zur Besänftigung hat das aber offenbar nicht beigetragen. Anwohner schimpfen weiterhin, dass die Umbenennung »willkürlich ohne Bürgerbefragung« erfolgt sei und sie davon erst erfahren hätten, als der Akt im Januar im Amtsblatt verkündet wurde.

Nun wird sich die Lokalpolitik noch einmal mit der Frage befassen müssen: Bei einer Ratssitzung am 28. Februar soll die abschließende Unterschriftenliste der Petition übergeben werden. Dass der Stadtrat seinen Beschluss revidiert, ist freilich zunächst nicht zu erwarten. Die Dessauer Kohl-Straße dürfte also bleiben - und demnächst auch beschildert werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -