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Rojava-Politiker Salih Muslim in Tschechien festgenommen
Türkei stellte Interpol-Haftbefehl für ehemaligen PYD-Vorsitzenden / LINKE fordert sofortige Freilassung
Tschechische Polizisten haben einen einflussreichen nordsyrischen Politiker festgenommen. Salih Muslim, der ehemalige Ko-Vorsitzende der syrisch-kurdischen Partei PYD und derzeitige Sprecher für auswärtige Angelegenheiten der »Bewegung für eine Demokratische Gesellschaft in Nordsyrien« (TEV-DEM), befindet sich seit Samstagabend in Haft. Laut Medienberichten nahmen die tschechischen Behörden den Politiker aufgrund eines türkischen Interpol-Haftbefehls fest. Das »Informationszentrum des Afrin-Widerstands« und prokurdische Nachrichtenagenturen bestätigten die Maßnahme.
Der 67-Jährige sei auf der Grundlage eines Interpol-Haftbefehls in Gewahrsam genommen worden, teilte auch eine Polizeisprecherin in Prag mit. Das weitere Vorgehen richte sich nach den Gesetzen über die internationale Justizzusammenarbeit. Ein tschechisches Gericht müsse nun über einen Haftbefehl entscheiden. Die tschechischen Behörden hätten von der Türkei zudem Unterlagen zur Auslieferung Muslims angefordert.
Verschiedene deutsche Politiker kritisierten das tschechische Behördenvorgehen. »Die LINKE verurteilt die Festnahme von Salih Muslim aufs Schärfste, hier hat der EU-Staat Tschechien Handlangerdienste für die Türkei geleistet. Die LINKE fordert die Bundesregierung auf, sich in der EU und bei Tschechien für die sofortige Freilassung von Salih Muslim einzusetzen«, schrieb der stellvertretende LINKE-Vorsitzende Tobias Pflüger auf Twitter. Hakan Taş von der Berliner Linksfraktion erklärte: »Wir fordern die sofortige Freilassung von Salih Muslim. Interpol darf sich nicht zur Spielweise der Türkei umwandeln. Die klar definierten Bestimmungen müssen auch für Ankara gelten!«
Die PYD und TEV-DEM kritisierten ebenfalls die Festnahme und forderten die sofortige Freilassung des Politikers. »Salih Muslim hat für alle Völker der Region gekämpft. Während des Kampfes um Kobanê hat er gegen die Unterstützer des Terrors diplomatische Aufgaben in Europa erfüllt. Seine ungesetzliche Festnahme richtet sich gegen diese Arbeit«, heißt es von TEV-DEM in einer Erklärung.
Muslim befand sich in Prag, um an einer Konferenz teilzunehmen. Laut der prokurdischen Nachrichtenagentur »Firatnews« sei der Politiker bereits in seinem Hotel vom türkischen Geheimdienst beobachtet worden. Entsprechende Aufnahmen hätten türkische Medien ausgestrahlt. Erst vergangene Woche hielt der Politiker in Berlin eine Pressekonferenz ab, wo er die internationale Zivilgesellschaft um Unterstützung gegen die türkische Offensive auf die nordsyrische Enklave Afrin bat.
Salih Muslim konnte noch in den Jahren 2013 und 2014 nach Ankara reisen, um Gespräche mit der türkischen Regierung zu führen. Kurze Zeit später stufte diese jedoch die PYD und ihre angebundenen Milizen YPG und YPJ als identisch mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und damit als »terroristische Organisationen« ein. Das türkische Innenministerium setzte laut Medienberichten eine Belohnung von einer Millionen US-Dollar für Informationen aus, die zur Ergreifung von Muslim führen könnten.
Die Festnahme des nordsyrischen Politikers wirft ein neues Licht auf die türkisch-tschechischen Beziehungen. Im November 2016 hatten türkische Sicherheitskräfte die tschechischen Staatsangehörigen Miroslav Farkas und Marketa Vselichova bei einem versuchten Grenzübertritt in den Irak festgenommen. Ein türkisches Gericht verurteilte sie im August 2017 wegen angeblicher Mitgliedschaft in der YPG-Miliz zu sechs Jahren und drei Monaten Haft. Tschechische Regierungsvertreter stritten ab, dass es eine Verbindung der beiden zu terroristischen Organisationen geben würde. Der tschechische Außenminister Lubomir Zaoralek erklärte zudem, sich für ein ordnungsgemäßes Berufungsverfahren einsetzen zu wollen. In tschechischen Medien wird bereits über einen möglichen Austausch von Muslim gegen die beiden inhaftierten Staatsbürger spekuliert.
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