Heimat Sperrgebiet
Der Dokumentarfilm »Furusato«: Warum kehren Menschen nach Fukushima zurück?
Man eröffnet mit einer Karte Japans, auf der die registrierten Beben des Jahres 2011 rot aufblinken. Gnadenlos läuft der Counter dem 11. März entgegen, an dem es sehr rot und sehr laut wird. Die Ähnlichkeit mit einem Geigerzähler ist beabsichtigt. Erdbeben und Atomkraft werden so in ein Bild gebracht als Mitteilung, dass ein Reaktorunfall in einem Risikogebiet nicht unvorhersehbar war, wie als Erinnerung, dass ihm eine größere Katastrophe, der Tsunami in Iwate und Miyagi, vorausging.
Furusato bedeutet ›Heimat‹ und ein Rätsel: Warum nehmen Menschen das Leben in einem Sperrgebiet wieder auf? Dieses Verhalten befremdet, so dass lohnt, die Frage zu stellen. Beim Stellen bleibt es dann leider.
Nichts gegen die Bilder, nichts gegen die Worte. Den Rückkehrern wird breiter Raum gewährt. Vieles ist traurig, manches tief, einiges schlicht absurd. Wenn Oma z.B. - eine Kippe schmauchend - darüber redet, dass Radioaktivität Krebs errege, hat das schon etwas Komik. Wenn dann ein Kinderchor singt: »Wir wollen dich nicht verlassen, Fukushima. Wir werden dich retten«, ist auch die verschwunden. Die Vorstellung, einem verseuchten Landstrich könne irgend geholfen sein, indem Kinder weiter darin leben, ist wohl nur mit Alkohol oder Ideologie zu halten. Fukushima daiichi, der Name des ruchbaren Kraftwerks, ließe sich analog dem berühmten Slogan Anzen daiichi (Sicherheit zuerst) auch mit »Fukushima zuerst!« übersetzen. Aber ist es das, worum es hier geht?
»Furusato« konzentriert sich auf politische Fragen, auf die Aufklärung und das Management der Krise. Was es kulturell bedeutet, kommt, trotz Andeutungen, szenisch zu kurz. Die Vorstellung von Heimat bezieht sich in Japan viel mehr auf die Familie als aufs Vaterland. Sie geht auf den Buddhismus ebenso wie auf den Shintoismus zurück, die ohnehin, nicht institutionell, aber in Denken und Liturgie, synkretistisch verwachsen sind. Die traditionelle Familie gleicht ihrer Struktur nach einem Baum. Es ist üblich, dass Kinder in die Metropole ziehen und dort eine Kleinfamilie gründen. Dennoch wird auch von ihnen die Stammfamilie weiter als wesentlich betrachtet. Die buddhistische Ahnenverehrung ist an Gräber, Hausschreine, Familientempel oder Ahnenzimmer gebunden. Zudem gibt man Dinge - Häuser, Möbel, Felder oder Pflanzen - nicht leicht auf, was sich im Schlagwort mottainai (es ist schade drum - aber nicht für mich, für die Sache selbst) ausdrückt. Auch die Vielgötterei des Shinto stärkt den Ortsbezug; er befördert eine Naturverbundenheit, die nicht symbolisch, sondern unmittelbar ist. Dieser Baum ist dieser Gott, ein anderer ist ein anderer. Man kann solche Götter nicht einfach mitnehmen, wenn man umzöge. Entwurzelung griffe zu kurz, Entselbstung träfe es besser.
Der Film bleibt hier impressionistisch und verliert sich zum Ende hin in Szenen, die wenig zur Sache beitragen. Man kann das für künstlerisch halten. Man kann aber auch einwenden, dass dort, wo ein beziehungsreicher Begriff wie »Furusato« zum Thema gemacht wurde, der Reichtum seiner Beziehungen erscheinen muss.
»Furusato - Wunde Heimat«, Deutschland 2016. Regie und Drehbuch: Thorsten Trimpop. 94 Min.
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