Wo Schelme ein Zuhause fanden

Zwei Ausstellungen in einer: Im Kunstkabinett von Jenny Paris gibt es nicht nur Schmuck, sondern auch Narren

Man sieht und staunt. Brillanten, Topas, Bernstein, Achat, Dolomit, Labradorit ... «But diamonds are a girl’s best friend», trällerte dereinst Marilyn Monroe. Ja, auch Diamanten sind hier verarbeitet. «Und das ist Mondstein», erläutert Jenny Paris. Auch schön. Er strahlt Wärme aus. Ich kann mich nicht satt sehen an den vielen grazilen Kunstwerken, nicht losreißen von den Vitrinen. Überraschend, wie vielseitig und fantasievoll die Schmuckdesignerin edle Steine in Gold oder Silber eingefasst hat, aus ihnen Ringe, Ohrringe, Halsketten zauberte - und Haarnadeln. Dieses heute eher ungewöhnliche Accessoire liebt Jenny Paris besonders. In den unterschiedlichsten Ausführungen, mit Ornamenten, Tropfen, Früchten oder kleinen Figuren bestückt, sind sie in ihrem Kunstkabinett in der (selbstredend) Pariser Straße in Wilmersdorf zu bewundern.

«Der Ursprung meiner Formfindung ist die Pflanzenwelt. Aus ihr, aus dem Wachsenden, rührt unser Proportionsverständnis», sagt sie. Auch Vögelchen krönen die filigrane Nadeln. Sie nimmt eine heraus und zeigt, wie rasch die Haare hochgesteckt sind. Auf verschiedenste Weise. «Das ist eine Anregung, die ich in Bolivien, von den Andenfrauen, aufgeschnappt habe.» Auf einer Haarnadel entdecke ich einen Harlekin en miniature. Was für ein origineller Einfall. Jenny Paris räumt ein, hier von ihrem Großonkel inspiriert worden zu sein, einem Meister des Art decó. Der war offensichtlich angetan von den Figuren der Commedia dell’arte, der italienischen Volkskomödie in der Renaissance.

Sie führt mich in das Durchgangszimmer zum Büro. Im «Korridor» begrüßt mich vielfältigste Narretei: Schelme in diversen Posen und mit unterschiedlichster Mimik, lachend, nachdenklich, betrübt, verärgert oder hochnäsig. Unschwer zu erkennen der verliebte Pierrot und seine Angebetete, die schöne Colombina. Und da sind auch Till Ulenspiegel und Don Quijote. Dessen treuer Gesell Sancho Panza fehlt indes. «Es sind nur noch die Beine von seinem Esel übriggeblieben», sagt Jenny Paris und klärt auf: Ihr Großonkel, der Grafiker, Bildhauer und Maler Roland Paris, ist zu Ende des Zweiten Weltkrieges bei einem Luftangriff auf seine, bei Swinemünde stationierte Wehrmachtseinheit ums Leben gekommen. Mit 49 Jahren haben die Nazis ihn noch rekrutiert. Nachdem seine Frau Elisabeth in den 1980er Jahren verstarb, zerstreuten sich dessen Werke in alle Himmelsrichtungen. Die Ehe war kinderlos geblieben. Niemand, der sich um den Nachlass des Künstlers kümmerte. Vor ein paar Jahren aber wurden im Keller des ehemaligen Atelier- und Wohnhauses - «nicht weit von hier, gleich um die Ecke» - Kisten mit Skulpturen, teils nur noch fragmentarisch, geborgen. Jemand, der um ihre Verwandtschaft wusste, hat sie Jenny Paris vermacht. «Und dank Alberto Shayo konnte ich die Bruchstücke teils wieder zusammensetzen oder ergänzen.» Beispielsweise Rosinante, den Gaul von Don Quijote. Shayo, geboren in Buneos Aires und heute in Rio de Janeiro lebend, hat ein Faible für Jugendstil und Art decó und gab vor zwei Jahren einen opulenten Bild-Text-Band «Roland Paris. The Art Deco Jester King» heraus. Jenny Paris hat Kontakt mit ihm aufgenommen. «Er will mich vielleicht einmal besuchen, um das neu entstandene Kunstkabinett Roland Paris in meiner Galerie zu sehen.»

Ich wundere mich, dass einige Skulpturen gesichtslos sind. Jenny Paris erklärt dazu, ihr Großonkel habe nach dem Guss in Bronze jenen für gewöhnlich ein Antlitz in Elfenbein verliehen. Dann macht sie mich auf die Ähnlichkeit der Profile der Joker und ihres Großonkels aufmerksam. «Die Gesichter männlicher Figuren gestaltete Roland vornehmlich nach seinem Ebenbild, der weiblichen nach seiner Frau Lisl, die Tänzerin am Theater des Westens war.»

Jenny Paris, die nach einer Goldschmiedelehre Schmuckdesign auf Burg Giebichenstein in Halle und später noch in Barcelona studierte und in München Schmuckdesign lehrte, forscht erst seit kurzem über Leben und Werk von Roland Paris, der ein Onkel ihres Vaters war. Von Ronald Paris, einem renommierten Maler, hängt natürlich auch ein Bild in ihrem Büro, barock eingerahmt.

Der Familie Paris scheint ein besonderes Kunstgen eigen, viele Familienangehörige waren musisch außerordentlich begabt. Der Großvater von Jenny Paris, namens Rupprecht, war Theaterschauspieler und Sänger, der Vater ihres Großenkels stammte aus einer wohlhabenden Familie, die eine Porzellanmanufaktur betrieb. Er selbst schriftstellerte wie auch seine Frau, die sich einen Namen mit Jung-Mädchen-Romanen machte. Jenny Paris hat einige gelesen und findet sie herzerfrischend. Sie zeigt mir bunte Bücher, darauf der Namenszug Therese Paris. Eine Schwester von Roland Paris wiederum machte in Batik. Ist eine solch talentierte Familie nicht eine Last? «Nein», wehrt Jenny Paris lachend ab. «Das spornt an.»

Dann berichtet sie stolz über Ergebnisse ihrer Suche nach Spuren des Großonkels. Einige Holzschnitte von ihm habe sie im Internet aufgestöbert. Auf gut Glück rief sie eines Tages in der Thüringer Porzellanmanufaktur an, in der Roland Paris seine Figuren gießen ließ und die glücklich Weltkrieg und Wende überstand. Groß war ihre Freude, als sie hörte, man habe noch zwei Originalgussformen ihres Großonkels. Sogleich gebar die erfahrene Designerin eine neue Idee. Sie fertigt exklusive, silberne Flaschenverschlüsse nach originalen Gipsformen der Harlekinköpfe an. Jeder Käufer erhält eine ausführlichen Legende gratis. Für einen edlen Tropfen sind sie tatsächlich angemessen, muss ich gestehen. Gebrauchskunst? Das klingt schlicht, profan. Ist sie aber nicht. Roland Paris hat unter anderem kunstvolle Buchstützen und Knäufe für Spazierstöcke gestaltet. «Jeder Mensch möchte im Alltag von Schönheit umgeben sein, oder etwa nicht?», fragt mich Jenny Paris.

Unser Exkurs ist noch nicht beendet. Vom vielseitiges Talent des Roland Paris zeugen ebenso Lithographien und Radierungen. Er war zudem ein gefragter Zeitungskarikaturist. Nach dem Machtantritt der Nazis wurde es schwieriger für ihn, nicht nur, weil er nicht der NSDAP beitrat. Seine Arbeiten passten nicht zur «Herrenmenschen-Ideologie, schienen diese eher zu verspotten. Erstaunlich: Ein Wochenblatt publizierte vor den Olympischen Sommerspielen 1936 seine Comic-Serie »Hoppel«, deren Anti-Held ein kleiner, spitzköpfiger Mann mit voluminösem Hinterteil ist, der damit prahlt, der größte Sportler aller Zeiten zu sein, aber stets patzt. Auch sein drei Jahre später unterm Titel »Komische Leute« erschienener Band mit humorigen Versen, war unterschwellig systemkritisch. Jenny Paris zeigt mir ein Exemplar: »Selbst gedichtet und selbst illustriert.« Waren nicht auch sein Don Quijote, der »Ritter von der traurigen Gestalt«, der gegen Windmühlen ankämpfte, und überhaupt all die Narren und Joker Zeitkommentare? »Gewiss«, antwortet Jenny Paris. Und macht mich auf einen diabolisch von der Wand auf uns herab feixenden Mephisto aufmerksam.

Abschließend gibt es eine handwerkliche Vorführung. Jenny Paris setzt sich an ihre Werkbank, nimmt aus einem Schälchen eine Perle und aus einer Box eine Metallfassung. »Passt nicht. Da muss ich noch etwas feilen.« Gesagt, getan. »Schmuck ist ein ursprüngliches Bedürfnis des Menschen«, sagt sie und beteuert, dass es bei ihr nur Unikate gibt. »In Serie zu fabrizieren - das wäre mir zu einseitig.« Das direkte Arbeiten für und mit dem Kunden ist eine Vorliebe der Künstlerin. Es entstehen so ganz persönliche Schmuckstücke, die die Individualität ihres Trägers unterstreichen. Jenny Paris bietet auch Colliers an. Und für die Herren Manschettenknöpfe, »eine Schmuckform, die erfreulicher Weise wieder im Kommen ist«. Die Designerin ist eine moderne Traditionalistin.

Schmuckgalerie Jenny Paris, Pariser Straße 7, Di. bis Fr. 12 bis 19 Uhr, Sa. 11 bis 15 Uhr; www.jennyparis.de.

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