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Vernunftehe besiegelt
SPD behandelt Große Koalition bis zuletzt wie ein heißes Eisen, Opposition bläst in die Glut
Seit einigen Wochen liegt der Koalitionsvertrag vor, die SPD-Basis hat ihn bestätigt und damit die Koalition mit CDU und CSU ermöglicht, die Gremien der Union haben ihn beschlossen. Wohlfahrts- und andere Fachverbände gaben ihre Bewertungen ab, und die künftige Opposition im Bundestag nahm mit kritischen Stellungnahmen die Position ein, die ihr für die verbleibenden dreieinhalb Jahre zugedacht ist. Der Montag bot nochmals Gelegenheit zur grundsätzlichen Wertung, denn an diesem Tag unterzeichneten die Vorsitzenden der drei Koalitionsparteien das künftige Regierungsprogramm.
Zuvor traten die Parteichefs Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und der kommissarische Vorsitzende der SPD, Olaf Scholz, vor die Presse. Alle drei bemühten sich dabei, den Nutzen ihres Regierungsprogramms für die Mehrzahl der Menschen in Deutschland glaubhaft zu machen. Es handele sich um ein »Wohlstandsversprechen«, das in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung erneuert werde, sagte Merkel. »Der Wohlstand unseres Landes muss bei allen Menschen ankommen.« Auch CSU-Chef Seehofer war bemüht, den Koalitionsvertrag als Verabredung zu sozialen Wohltaten zu preisen. Es handele sich um eine Große Koalition für die kleinen Leute. Diese bildeten den Großteil der Bevölkerung. Er könne sich nicht erinnern, dass ein Koalitionsvertrag die soziale Dimension derart abgebildet habe, sagte Seehofer.
Der CSU-Vorsitzende machte deutlich, dass dies die Antwort der beteiligten Parteien auf die Wahlschlappe am 24. September sei. Und Olaf Scholz beteuerte für die SPD, dass Regieren kein Selbstzweck sei. Es sei der ausdrückliche Wille der beteiligten Regierungspartner, das Leben der Bürgerinnen und Bürger besser zu machen. Zwar habe es sich nicht um eine Liebesheirat der Koalitionspartner gehandelt, jedoch sei man in der Lage, konstruktiv zusammenzuarbeiten.
Scholz geht nach eigenem Bekunden als künftiger Bundesfinanzminister und Vizekanzler mit der notwendigen Ernsthaftigkeit, aber auch mit dem nötigen Optimismus an die Arbeit. Von seinem SPD-Genossen Ralf Stegner, Stellvertretender Vorsitzender, ging am selben Tag eine weniger harmonieorientierte Botschaft aus. Stegner sprach sich für eine harte Gangart seiner Partei in dem neuen Bündnis aus. »Wir sind nicht braver Juniorpartner. Wir müssen von Beginn an klares Gegengewicht zur Union sein, in der täglichen Regierungsarbeit und darüber hinaus«, sagte Stegner dem Berliner »Tagesspiegel«. Es gehe darum, von Anfang an klares Profil zu zeigen, damit die SPD gestärkt aus der Neuauflage der großen Koalition herauskomme.
»Zuspitzung und klare Abgrenzung gegen die Konservativen«, die Stegner seiner Partei empfahl, dürfte eine Handlungsorientierung sein, die im Regierungsalltag schwer durchzuhalten ist, zumal, wenn die Opposition die Koalition als Ganzes in Haftung nimmt. Wenig Bereitschaft zur Milde war bereits am Montag in deren Stellungnahmen zu erkennen.
Eine Koalition aus geschwächter SPD und einer ermatteten Union werde kein einziges der sozialen Probleme in Deutschland lösen, sagte Bernd Riexinger, der gemeinsam mit seiner Kovorsitzenden die Bewertung der Linkspartei vor der Bundespressekonferenz deutlich machte. Die LINKE werde die Rolle der sozialen Opposition übernehmen, die Regierung von links angreifen und gesellschaftliche Bündnisse schmieden. Katja Kipping prophezeite eine Vergrößerung der sozialen Schieflage im Land. Die neue Regierung stehe für das Treten nach unten, meinte Kipping und machte dies an den jüngsten Äußerungen des designierten Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) fest, der davon gesprochen hatte, dass Hartz IV für die soziale Mindestsicherung ausreichend sei.
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock bescheinigte der Koalition »große Lücken gerade bei den großen Zukunftsherausforderungen« wie Klimaschutz, Digitalisierung und Armutsbekämpfung. Scharfe Kritik äußerte sie an Horst Seehofer. Der designierte Innenminister hatte die Absicht bekundet, die Asylverfahren zu beschleunigen und verstärkt abzuschieben. Seehofer solle sich in die Materie einarbeiten, statt als »bayerisches Rumpelstilzchen« aufzutreten, meinte Baerbock.
Als erstes will die neue Regierung den Haushalt für das laufende Jahr verabschieden, wie Angela Merkel deutlich machte. Eigentlich habe beinahe alles im Koalitionsvertrag höchste Dringlichkeit, jedoch stehen auch Besuche des neuen Finanzministers sowie der Kanzlerin in Paris ganz oben auf der Prioritätenliste, um den Stillstand in der Europapolitik zu beenden. Mit Agenturen
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