Gulaschsuppe
Ich gebe es gerne zu, ich bin ein Moabiter Patriot. Naja, vielleicht auch einfach nur ein Gewohnheitstier. Jedenfalls verlasse ich meinen Heimatbezirk zum aushäusigen Essen nur in Ausnahmefällen. Warum das so ist, wurde an dieser Stelle bereits des Öfteren reportiert. Auch während der Zeiten in meiner Wandlitzer Sommerresidenz nutze ich ungern die berüchtigte brandenburgische Gastronomie, sondern vertraue auf die Zubereitung größtenteils aus Berlin importierter Lebensmittel.
Doch es gibt Ausnahmen. Dann besteige ich mein Fahrrad, fahre gen Westen und überquere eine der Brücken über die Spree oder den Charlottenburger Verbindungskanal, um den gleichnamigen Nachbarbezirk aufzusuchen. Mein Ziel ist dann meistens der östliche Teil der Wilmersdorfer Straße, der sich wohltuend von der geballten Hässlichkeit der weiter westlich gelegenen Fußgängerzone abhebt. Mein Besuch im »Borso«, gerne auch als »ungarische Speisekammer« bezeichnet, dient vor allem dem Erwerb außergewöhnlicher Wurstwaren wie scharfe Wollschweinsalami oder Pferde-Kolbasz. Doch wenn man schon mal da ist, kann man sich auch an einem der Bistro-Tische niederlassen und eine Gulaschsuppe bestellen. Für Hertha-Fans (zu denen ich ganz bestimmt nicht gehöre) erhöht das zudem die Chance, dem Trainer Pal Dardai oder seiner Frau zu begegnen, denn die kaufen hier regelmäßig ein.
Gulaschsuppe klingt nun wirklich mega-profan. Das macht doch jeder. Irgendwelches gewürfeltes Fleisch irgendwie schmoren, bisschen Gemüse und ein paar Gewürze rein, manchmal auch Sahne oder Verdickungsmittel und fertig ist. Aber wir sind hier bei Ungarn, und bei denen ist Gulyàs bekanntlich eine Art Nationalheiligtum. Betreiber Laszlo Baksa, der »nebenbei« auch noch als Torwart des Wasserball-Bundesligisten und mehrfachen deutschen Meisters Wasserfreunde Spandau 04 agiert, würde sich vermutlich schämen, in seiner Speisekammer eine geschmacksglobalisierte 08/15-Gulaschsuppe anzubieten.
Und so bekommt man eine große Schale solider, ungebundener Brühe, die ihre Sämigkeit einer gut durchgeschmorten Beinscheibe (oder anderem Suppenfleisch), Schmalz und Zwiebeln verdankt. In der Brühe schwimmen reichlich Fleisch-, Kartoffel und Möhrenstücke und das Ganze ist dezent, aber stilvoll gewürzt, natürlich auch mit Paprikapulver (süß und scharf). Die bei der »original ungarischen Gulaschsuppe« deutscher Herkunft anscheinend unvermeidlichen Paprikastreifen fehlen hier ebenso wie Sahne oder gar Rotwein. Hat in einem klassischen bäuerlichen Resteessen auch nichts verloren.
Irgendwann geht man natürlich wieder, satt und zufrieden. Ein paar Schritte weiter befindet sich der neben der legendären »5. Etage« des KaDeWe wohl legendärste, altehrwürdige Westberliner Edelfresstempel »Rogacki«. Auch der hat durchaus erwähnenswerte Imbissangebote. Doch das ist eine andere Geschichte. Und ohnehin sollte man es als Moabiter Patriot mit Empfehlungen zu anderen Bezirken nicht übertreiben.
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