- Politik
- Rassismus in Sachsen
Beleidigungen im Klassenzimmer
Weniger rechte Gewalttaten, aber weiterhin viel Alltagsrassismus in Sachsen
Abfällige Blicke in Straßenbahn und Supermarkt, eine hingeworfene Beleidigung im Treppenhaus, ein wie zufällig wirkender Rempler auf dem Gehweg, dem keine Entschuldigung folgt: Menschen mit Migrationshintergrund bekommen im Alltagsleben oft zu spüren, dass sie in Sachsen nicht von allen erwünscht sind. »Alltagsrassismus ist ein großes Problem«, sagt Suene Banbas, die bei der Opferberatung der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) Sachsen arbeitet. Auch Schulen sind nicht ausgenommen - im Gegenteil: »Das ist ein riesiges Thema«, sagt Banbas. Beleidigungen und Anfeindungen gehen dabei von Mitschülern aus; Lehrkräfte berichten von hässlichen Szenen bereits in Grundschulen. Aber auch Lehrer macht die RAA-Mitarbeiterin als Täter aus, etwa in DAZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache), in denen diese ihren Schülern eigentlich dabei helfen sollen, die deutsche Sprache zu erlernen, um sich in die deutsche Gesellschaft integrieren zu können. Die alltäglichen Anfeindungen, sagt Banbas, bewirkten das Gegenteil: »Das beeinflusst die psychische Gesundheit und untergräbt das Vertrauen, sich hier ein gutes Leben aufbauen zu können.«
Während Rassismus im Alltag in Sachsen weiter verbreitet ist, ging zumindest die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten im vorigen Jahr zurück. Die RAA registrierte 229 Fälle, sagt ihr Geschäftsführer Robert Kusche - und damit deutlich weniger als in den Jahren 2015 und 2016, als die Zahl bei 477 und 437 lag. Die Zahl erreichte etwa wieder das Niveau des Jahres 2013, bleibt aber höher als 2012. Damals war mit 155 Angriffen ein langjähriger Tiefstand verzeichnet worden. Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) kommentierte: »Jeder Anschlag, jeder Übergriff ist einer zu viel und zerstört den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.«
Kusche führt den deutlichen Rückgang gegenüber den beiden Vorjahren auf ein Abflauen der »Aufgeregtheit« zurück, die während der Flüchtlingskrise nicht zuletzt in Sachsen geherrscht hatte und etwa zu Protesten gegen die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften oder Angriffen auf bereits bestehende Heime führte. Mittlerweile wohnen Asylbewerber oft in dezentralen Unterkünften - was, wie Kusche anmerkt, ebenfalls ein Grund dafür sein könnte, dass die registrierten Fallzahlen sinken: In die Statistik fließt nur ein, was der RAA zur Kenntnis gelangt. Seien Flüchtlinge weniger in »Hilfestrukturen« eingebunden, könne es sein, dass Übergriffe nicht erfasst werden, weil die Betroffenen sie niemandem melden.
Kusche hält es außerdem für möglich, dass harte Urteile gegen rechte Gewalttäter in Prozessen wie gegen die »Gruppe Freital« und die »Freie Kameradschaft Dresden« auf die Szene eine disziplinierende Wirkung gehabt hätten. Dennoch sei es nicht geboten, Entwarnung zu geben. Jüngste Eskalationen in Städten wie Wurzen oder Bautzen zeigten, wie schnell es bei einem vermeintlichen Anlass zu »massiven Angriffen« auf Flüchtlinge komme. Die rechte Szene sei dort inzwischen so lange etabliert, dass sie schnell viele Anhänger mobilisiere.
Zuwanderer bleiben das Hauptziel rechter Übergriffe in Sachsen; mit 162 richten sich fast drei Viertel der Übergriffe gegen Migranten. Bei 32 Attacken waren politische Gegner das Ziel - oft Menschen, die sich für Geflüchtete engagieren. 21 Gewalttaten trafen Menschen, die als alternativ oder nicht rechts angesehen wurden. Diese stellten vor acht Jahren noch die größte Gruppe von Betroffenen dar, weil Neonazistrukturen in den Jahren um 2010 massiv versuchten, eine etwaige alternative Jugendkultur zurückzudrängen.
Regionale Schwerpunkte rechter Gewalt in Sachsen sind Dresden sowie die Stadt und der Landkreis Leipzig. In Dresden gab es 52 Angriffe, das entspricht einer Quote von 9,9 je 100 000 Einwohner. Im Jahr davor wurden dort noch mehr als doppelt so Angriffe verzeichnet. In Leipzig waren es im vergangenen Jahr 36 Attacken, im Landkreis Leipzig 22. Auch in der Stadt Chemnitz sowie im Erzgebirge und den Kreisen Zwickau und Bautzen wurde jeweils eine zweistellige Zahl an Übergriffen registriert.
Diese regionalen Hochburgen hat auch die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (LINKE) ausgemacht, die einen Tag vor der RAA ebenfalls Zahlen zu rechten Straftaten veröffentlichte. Allerdings fließen bei ihr auch Delikte wie Beleidigung, rassistische Diskriminierung, Mobbing oder die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ein, die in der RAA-Statistik bewusst ausgeklammert werden. Köditz beziffert die Zahl für das Jahr 2017 unter Berufung auf von ihr abgefragte Angaben des Innenministeriums auf 2144, was einem Rückgang von acht Prozent gegenüber dem Jahr 2016 entspricht. Mehr als ein Drittel der Straftaten ereignen sich in Dresden, Leipzig und dem Landkreis Bautzen. Auch Chemnitz entwickle sich zur Hochburg. Dagegen habe es im Kreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge eine deutliche Entspannung gegeben. Laut Köditz wurden insgesamt 72 Menschen verletzt, davon zwei schwer.
Bei der RAA geht man davon aus, dass »die Angriffe gewalttätiger werden«, so Kusche. In 73 Prozent der registrierten Fälle gehe es um einfache oder gefährliche Körperverletzung. Erfasst werden außerdem Tötungsdelikte, Raub und Landfriedensbruch, zudem Nötigung und Bedrohung (die zusammen ein Fünftel der registrierten Gewalttaten ausmachen) und schwere Fälle von Sachbeschädigung, durch die Betroffene in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind.
Eine besonders verstörende Entwicklung ist die Zunahme der Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Diese Gruppe stellte im Jahr 2017 sieben Prozent der von Gewalttaten Betroffenen, im Jahr zuvor waren es sogar elf Prozent. Es gebe »tatsächlich Erwachsene, die auch Kinder angreifen«, sagt Kusche und merkt an, diese Entwicklung hätten auch die Mitarbeiter von Opferberatungen in den anderen Bundesländern beobachtet.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.