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Zoff in der SPD über Rückzieher bei Paragraf 219a
Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen reagiert empört auf Entscheidung der Bundestagsfraktion / Eva Högl löscht gegen Union gerichteten Tweet
Die SPD-Politikerin Elke Ferner ist empört, dass ihre Bundestagsfraktion nun doch keinen Gesetzentwurf zur Reformation von Paragraf 219a im Bundestag einbringen will. »Ich halte das für einen Fehler«, wurde Ferner am Mittwoch in der »Welt« zitiert. Ferner war Parlamentarische Staatssekretärin bei der Familienministerin und ist Chefin der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Dieses Gremium hatte sich zuletzt klar für die Abschaffung des Werbe- und Informationsverbotes für Schwangerschaftsabbrüche ausgesprochen.
Vergangene Woche hatte die SPD-Abgeordnete Eva Högl angekündigt, ihre Partei werde einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen im Bundestag einbringen. Doch am Dienstag wurde bekannt, dass die SPD ihren Gesetzentwurf doch nicht einbringen wird. Begründung: Die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU und SPD, Volker Kauder und Andrea Nahles hatten sich darauf verständigt, die »Möglichkeiten einer Lösung zu prüfen und einen Vorschlag vorzulegen.« Hiermit soll die neue Justizministerin Katarina Barley (SPD) beauftragt werden. Es hagelte Kritik von Feministinnen und aus der Opposition: LINKE, Grüne und FDP werteten das Vorgehen der SPD als Nachgeben vor dem Koalitionspartner.
In zahlreichen deutschen Zeitungen wurde am Mittwoch über den Rückzieher der SPD berichtet. Seither äußern immer mehr SPD-Abgeordnete Unverständnis über das Vorgehen ihrer Partei. Der Juso-Vorsitzende und GroKo-Gegner Kevin Kühnert sagte gegenüber bento, dem Jugendformat von Spiegel Online: »Es ist enttäuschend, dass die SPD vor der Union einknickt und den Antrag zum Paragrafen 219a zurückzieht.« Der Paragraf ist weit auslegbar und wird von AbtreibungsgegnerInnen genutzt, um ÄrztInnen anzuzeigen, die auf ihrer Homepage darüber aufklären, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Am Donnerstag schrieben zudem 285 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner, vorwiegend Ärztinnen und Ärzte einen offenen Brief an die Bundestagsfraktion der SPD. Darin machen sie ihrem Ärger Luft, dass die Partei ihren Gesetzentwurf überraschend einen Tag vor der Wahl der Bundeskanzlerin zurückgezogen hat.
Eva Högl attackierte die Union auf Twitter
Vor dem Hintergrund der starken Kritik aus den eigenen Reihen und in den Medien verlor die SPD-Abgeordnete Eva Högl am Donnerstagmorgen auf dem Kurznachrichtendienst Twitter kurz die Contenance. Mit Bezug auf einen Kommentar, der im »Tagesspiegel« erschienen ist, schrieb sie: »Ach ja. Es ist so schön einfach und billig, auf die SPD zu schimpfen. Wie wär›s damit, mal die widerlichen ‹Lebensschützer*innen› in Union in den Blick zu nehmen und zu kritisieren?«
Eva Högl sitzt als direkt gewählte Abgeordnete für Berlin Mitte seit 2009 im Bundestag und ist Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Sie ist Juristin und Mitglied des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz. Die 49-Jährige hatte sich in den vergangenen Monaten in der SPD federführend für die Abschaffung des Paragrafen 219a eingesetzt. Obwohl sie auf Twitter auch Zuspruch für die Attacke gegen die Union erhielt, löschte sie ihren Tweet nach nur drei Stunden wieder.
Sozialdemokraten zeigen sich gespalten
Sie machte selbst auf die Löschung aufmerksam und erklärte: »Ich habe heute einen sehr emotionalen Tweet gelöscht, dessen Aussage ich damit zurücknehme.« Zuvor hatte der CSU-Generalsekretär Markus Blume Högl gegenüber der »Süddeutschen Zeitung« zurechtgewiesen. Frau Högl seien »da wohl alle Sicherungen durchgebrannt: Nicht der Schutz des Lebens ist widerlich, sondern die Äußerung von Frau Högl«. Zudem forderte er die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles auf, »ihre Stellvertreterin Högl zur Ordnung zu rufen«.
Högls Reaktion zeigt eine SPD ohne klare Strategie zur Abschaffung des Werbe- und Informationsverbotes für Schwangerschaftsabbrüche. So scheint es in der SPD zwei Lager zu geben: Eins, dem der Koalitionsfrieden wichtig ist und das daher auf einen Kompromiss mit der Union baut. Und ein anderes, das sich gegenüber der Union behaupten möchte und gerne eine Abstimmung im Bundestag ohne Koalitionszwang herbeiführen würde. So sagte Elke Ferner beispielsweise: »Hier geht es um eine Gewissensentscheidung und nicht um die Koalitionsfrage.«
Rückzieher, der zweite
Diese Lager gibt es in der SPD nicht erst seit gestern. Es ist davon auszugehen, dass sie sich schon während der Koalitionsverhandlungen gebildet haben. Denn schon im Dezember beschlossen die Sozialdemokraten einstimmig einen eigenen Gesetzentwurf zur Aufhebung des »Werbeverbots« für Schwangerschaftsabbrüche. Zuvor hatten LINKE und Grüne Gesetzesentwürfe zum Thema vorgelegt.
Ursprünglich hatten alle drei Fraktionen geplant, diese Entwürfe am 22. Februar in den Bundestag einzubringen. Zudem bemühten sich SPD-Abgeordnete um die Unterstützung der FDP für die Streichung des Paragrafen 219a. Doch kurz vor dem Termin sprang die SPD ab und gab bekannt, ihren Gesetzentwurf vorerst nicht vorzulegen.
Begründung auch damals: Sie wolle zunächst bei Abgeordneten der Union für das Vorhaben werben. Eva Högl äußerte sich am Mittwochabend auf Twitter mit den Worten: »Wir haben unseren Gesetzesentwurf nicht zurückgezogen. Wie oft soll ich das noch sagen?« Doch das die SPD an dem Vorhaben festhält, ist, angesichts des geschilderten Zickzackkurses und der Selbstzensur, schwer zu glauben.
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