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Annäherung auf Koreanisch
Die beiden verfeindeten Staaten auf der Halbinsel in Ostasien waren schon einmal auf dem Weg des Dialogs
Lässt Moon die Sonne wieder scheinen?
Ohne äußere Einmischung könnten Nord und Süd neben der Lösung eigener Probleme maßgeblich zu Entspannung und Frieden auf der Halbinsel und in Nordostasien beitragen - entsprechende Signale gab es bereits 2000 und 2007.
Die Chancen für eine diplomatische Annäherung im Korea-Konflikt stehen gerade günstig. Dass der nordkoreanische Staatschef und der US-Präsident sich treffen wollen, ist eine Sensation und ein Hoffnungszeichen. Noch aber kann viel dazwischenkommen, wie die wechselvolle, teils dramatische Geschichte des Konflikts auf der Halbinsel mit gelegentlich schwer berechenbaren Akteuren bewiesen hat.
Der nebenstehende Text wurde vor den jüngsten Vereinbarungen geschrieben. Er ist dem Buch »Brennpunkt Nordkorea. Wie gefährlich ist die Region? Berichte, Daten Fakten« entnommen, das dieser Tage in der edition berolina erscheint. Das Buch, herausgegeben von der Koreanistin Helga Picht und dem Publizisten, Politikwissenschaftler und Asien-Kenner Rainer Werning, skizziert die Wurzeln und die Entwicklung eines Konflikts von globaler Bedeutung. nd
Rainer Werning/Helga Picht: Brennpunkt Nordkorea. Wie gefährlich ist die Region? Berichte, Daten und Fakten. Berliner Buchverlagsgesellschaft – edition berolina. 192 Seiten. 9,99 Euro.
Das große Paradoxon in der jüngeren Geschichte Koreas besteht darin, dass der von 1998 bis 2008 in Seoul verfolgten »Sonnenscheinpolitik« vis-à-vis dem Norden von der selbsterklärten »Schutzmacht« USA in die Parade gefahren wurde. Und dass die beiden darauffolgenden stockkonservativen südkoreanischen Regime im Schatten von US-Präsident Barack Obamas »strategischer Geduld« auf schroffe Konfrontation mit Pjöngjang setzten. Südkoreas neuer Präsident Moon Jae-In favorisiert erneut den Dialog mit dem Norden. Zum Entsetzen von US-Hardlinern in Washington. Bringt Donald Trumps Politik womöglich beide koreanische Regierungen gegen sich auf? Wenigstens das wäre schon mal beruhigend und ein Teilerfolg.
Am 13. Juni 2000 genoss die nordkoreanische Führung als Gastgeber des ersten innerkoreanischen Gipfels den wahrlich geschichtsträchtigen Moment, dass die Staatschefs beider Teilstaaten, Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il, Freundlichkeiten per Handschlag austauschten.
Am 15. Juni 2000 vereinbarten beide Staatsmänner die historische Nord-Süd-Deklaration. Über Familienzusammenführung und gegenseitige Besuchsprogramme hinaus sah diese eine engere Kooperation in den Bereichen Kultur, Handel und Wirtschaft vor. Zu Letzterem zählte vor allem der Aufbau des im äußersten Süden Nordkoreas angesiedelten Kaesong Industrial Complex (KIC).
Möglich geworden war diese erste Zusammenkunft der beiden mächtigsten Politiker in Seoul und Pjöngjang nach dem Amtsantritt Kim Dae-jungs im Februar 1998, der eine »Sonnenscheinpolitik« gegenüber dem Norden verkündete. Wandel durch Handel, Annäherung statt Destabilisierung - lautete fortan die Devise in Seoul. Dabei bezog sich Kim Dae-jung ausdrücklich auf Willy Brandts frühere »Ostpolitik«, wenngleich er die Situation beider Länder nie für vergleichbar hielt. Die Nord-Süd-Verständigung fand weltweit breite Unterstützung. Dafür erhielt der südkoreanische Präsident im Dezember 2000 den Friedensnobelpreis.
Anlässlich des dritten Jahrestags der Unterzeichnung der Gemeinsamen Nord-Süd-Deklaration erklärte Kim Dae-Jung im Sommer 2003 unverblümt, dass sich Nordkoreas Atomwaffen, verfügte die Volksrepublik tatsächlich über solche, im Vergleich zum US-amerikanischen Atomwaffenarsenal nachgerade wie »Spielzeuge« ausnähmen. Mitte Juni 2005 reisten anlässlich des fünften Jahrestags des ersten historischen innerkoreanischen Gipfels über 300 südkoreanische Gäste nach Pjöngjang, um dort mehrere Tage lang gemeinsam und ausgelassen dieses Ereignisses zu gedenken.
Was zum Jahreswechsel 2000/01 auf einen behutsamen Entspannungsprozess in Korea hindeutete, geriet bereits kurz nach dem Amtsantritt von George W. Bush vollends aus den Fugen. Der neue Chef im Weißen Haus nannte Nordkorea am 7. März 2001 unvermittelt einen »Bedrohungsfaktor in Ostasien«, mit dem Gespräche und Sicherheitsgarantien im Zuge einer kompletten Neubestimmung der US-Asienpolitik ausgesetzt würden. Im selben Atemzug stempelte er die »Sonnenscheinpolitik« als »naiv« ab und erkor Nordkorea Ende Januar 2002 nebst Iran und Irak sogar zur »Achse des Bösen«.
Um trotz gezielter Störattacken seitens der USA das Momentum der »Sonnenscheinpolitik« zu wahren, kam es Anfang Oktober 2007 zu einem zweiten Gipfeltreffen in Nordkoreas Hauptstadt. Beide Präsidenten, Kim Jong-Il für den Norden und Roh Moo-Hyun für den Süden, unterzeichneten dort am 4. Oktober eine Erklärung, in der sie zu Frieden, Wohlstand und engere Wirtschaftskooperation auf der Halbinsel aufriefen. In dieser Erklärung bekräftigen Kim und Roh auch den geplanten Abbau des nordkoreanischen Atomprogramms sowie die Einrichtung einer Friedenszone im Gelben Meer, wo die Grenzlinie zwischen beiden Ländern noch strittig ist.
Das Ende der »Sonnenscheinpolitik« besiegelten nicht nur Präsident Bush, sondern auch sein südkoreanischer Kollege, Präsident Lee Myung-Bak (2008-2013), der Ende September 2017 überführt wurde, den landesweiten Geheimdienst (National Intelligence Service, NIS) systematisch gegen linke Kritiker aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur angesetzt zu haben. Die betroffenen Personen wurden bespitzelt und der NIS sorgte dafür, dass sie öffentlich verschwiegen, geächtet oder kaum zur Kenntnis genommen wurden.
Nach 16-jährigem »Krieg gegen den Terror(ismus)« mit solch verheerenden »kollateralen Landschäden« wie in Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen und Libyen folgt Nordkoreas Nomenklatur gemäß systemimmanenter Logik und sehr rational dem Kalkül: Werden wir schon international nicht als Freund geachtet, wollen wir wenigstens als Feind auf Augenhöhe geächtet werden.
Was nottut, sind endlich Direktgespräche zwischen den Antagonisten, anstatt immer größere Drohkulissen aufzutürmen. Die Krux bei alledem hat Donald P. Gregg, ein alter CIA-Fuchs und US-Botschafter in Seoul (1989-1993), vor Jahren mit Blick auf die Nordkorea-»Politiken« seiner Regierungen auf den Punkt gebracht: »Nordkorea zeugt von der längsten ›failure of US intelligence‹. Washington hat keine konsistente Nordkorea-Politik, sondern nur eine Haltung dem Land gegenüber - nämlich Hass.«
Zerplatzter Traum
Der Kaesong Industrial Complex galt als Kronjuwel innerkoreanischer Kooperation.
Südkorea kündigte Anfang Februar 2016 an, den Kaesong Industrial Complex (KIC) wegen eines kurz zuvor erfolgten nordkoreanischen Atomtests zu schließen. So verwandelte sich der einst als Musterbeispiel der Nord-Süd-Kooperation gepriesene Industriepark fortan in einen Schrottplatz.
Unweit des 38. Breitengrads und der sogenannten Entmilitarisierten Zone liegt die nordkoreanische Stadt Kaesong, die während des Koreakriegs gleich mehrfach Ziel heftiger Artillerieattacken war und größtenteils zerstört wurde. Ausgerechnet dort befand sich mit dem Kaesong Industrial Complex zeitweilig ein als Kronjuwel innerkoreanischer Kooperation gepriesener Industriepark. Südkorea war mit Kapital (das Investitionsvolumen betrug umgerechnet etwa zwei Milliarden US-Dollar) und technologischem Know-how präsent, während der Norden Grund und Boden sowie vergleichsweise billige Arbeitskräfte bereitstellte.
Am Anfang stand das historische Gipfeltreffen zwischen den Staatschefs Kim Dae-Jung und Kim Jong-Il Mitte Juni 2000 in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang. Dort wurde am 15. Juni 2000 die »Gemeinsame Nord-Süd-Erklärung« unterzeichnet, mit der eine enge Zusammenarbeit auf nahezu sämtlichen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens beschlossen wurde. Im wirtschaftlichen Bereich wurde nach intensiven Beratungen vereinbart, eine gemeinsame industrielle Zone zu errichten. Im April 2004 trafen schließlich das südkoreanische Unternehmen Hyundai Asan und das Asiatisch-Pazifische Friedenskomitee Nordkoreas ein entsprechendes Abkommen, wobei die nordkoreanische Seite ein insgesamt 66,1 Quadratkilometer großes Areal für 50 Jahre verpachtete, das in drei Phasen entwickelt werden sollte.
Waren 2004 erst zwei südkoreanische Firmen im KIC ansässig, so betrug deren Zahl im Frühjahr 2006 bereits 15 - meist mittelständische - Unternehmen. Bis zum Jahresbeginn 2012 existierten dort bereits 123 Betriebe mit knapp 51 000 (vorwiegend nordkoreanischen) Arbeitern. Nach Angaben des Seouler Ministeriums für Vereinigung wurden dort von Oktober 2004 bis Ende Januar 2012 Güter in einem Gesamtwert von 1,5 Milliarden US-Dollar gefertigt. Die im KIC gezahlten Monatslöhne lagen zwischen umgerechnet 57,50 bis 75 US-Dollar - vergleichbar den Löhnen in China (abgesehen von den Sonderwirtschaftszonen an dessen Südküste) und Vietnam. Bei Überstunden erhielten die Arbeiter einen Bonus von 50 bis 100 Prozent. Während das südkoreanische Vereinigungsministerium als verantwortliche Stelle die Arbeiter gern direkt ausbezahlt gesehen hätte, konnte die nordkoreanische Seite eine andere Lösung durchsetzen: Demnach konnten die Arbeiter ihre Lohnabrechnungen in südkoreanischer Währung lediglich überprüfen und unterschreiben, die Auszahlung der Löhne erfolgte indes in nordkoreanischen Won.
Am 15. März 2006 wurden im Osten und Westen des Landes eigens zwei Bahn- und Straßenverbindungen mit entsprechenden Checkpoints auf südkoreanischer Seite eröffnet. Im Jahre 2003 passierten gerade einmal 3600 Personen und 1200 Fahrzeuge die Grenze im Westen, während es zwei Jahre später bereits 66 000 Personen waren. Signifikant war auch der innerkoreanische Handel gestiegen. 1998 betrug er umgerechnet 222 Millionen US-Dollar, im Jahre 2005 waren es bereits 1,055 Milliarden Dollar. Ende 2010 kam der Nord-Süd-Handel umgerechnet schon auf knapp zwei Milliarden Dollar, wovon annähernd 76 Prozent oder 1,4 Milliarden Dollar direkt über den KIC abgewickelt wurden. Somit war Südkorea nach der Volksrepublik China zum zweitgrößten Handelspartner Nordkoreas avanciert - allen politischen Konflikten zum Trotz.
Südkoreanische Politiker bezeichneten den KIC einst als »Traumfabrik des Friedens und gemeinsamen Wohlstands«. Zweifellos wäre das Potenzial dazu vorhanden und die Vision in einem einigen, wenn auch nicht unbedingt vereinten Korea verlockend. So könnten nämlich mit einem von der Hafenstadt Busan im Süden bis nach Sinûiju im Nordwesten (an der chinesischen Grenze) wiederhergestellten Eisenbahnnetz wichtige Impulse für ein langgehegtes Projekt gegeben werden: den Nordostasiatischen Gemeinsamen Markt, der den Osten Chinas und Russlands mit einschließen würde. Bereits vor Jahren prangte am Seouler Hauptbahnhof ein überdimensionales Plakat, auf dem eben diese Orte als Ausgangspunkte der »modernen Seidenstraße« markiert waren - mit Stockholm und Paris als deren Endpunkte.
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