• Politik
  • Überwachungsgesetz in den Niederlanden

»Ein Angriff auf die Demokratie«

Die Niederländer stimmen über ein Gesetz ab, das Überwachung im großen Stil ermöglicht

  • May Naomi Blank
  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Houwing, Sie arbeiten als Referentin zum neuen Gesetz für Nachrichten- und Sicherheitsdienste, dem sogenannten WIV. Was genau soll sich ändern?

Zuallererst kann der Sicherheitsdienst verdachtsunabhängig Kommunikation über Glasfaser- oder Kupferkabel abfangen. Damit wird ungezielt die Kommunikation von Bürgern angezapft. Zweitens wird die sogenannte Hackbefugnis erweitert. Zur Zeit dürfen sich die Dienste schon in Computer von Verdächtigen einhacken. Aber wenn das neue Gesetz in Kraft tritt, dürfen auch Computer von Dritten gehackt und dort Malware installiert werden.

Zur Person
Die Niederländische Regierung will Telekommunikation über Apps und Computer großflächig überwachen. Das Parlament hat eine Gesetzesänderung beschlossen, die nur noch durch ein Referendum am 21. März gestoppt werden kann. Für »nd« sprach May Naomi Blank mit Lotte Houwing vom Transnational Institute in Amsterdam über die Kompetenzerweiterung der Nachrichten- und Sicherheitsdienste.

Dritte?

Das kann jemand sein, mit der die Person in Kontakt ist, aber auch ein Dienstleister, zum Beispiel beim Internetprovider oder bei Webhosting-Unternehmen. Und wo einmal Sicherheitslücken entstehen, können sich auch andere einhacken. Drittens wird der Zugang zu Informationen durch die Nachrichtendienste automatisiert. Bislang lief es so: Die Nachrichten- und Sicherheitsdienste konnten Informationen von Behörden oder Instanzen abfragen, wenn das für ihre Arbeit relevant war. Aber jetzt werden Dienste automatisch ohne Anfrage Zugang zu allen möglichen Datenbanken erhalten, vom Staat, aber auch von Banken oder medizinische Informationen. Die Befugnisse gehen noch viel weiter, als das zum Beispiel in Deutschland der Fall ist.

Was macht das Thema so brisant?

Die Befugnisse zur Telekommunikationsüberwachung werden ungezielt eingesetzt. Wenn man Verdächtige überwacht, die vielleicht Anschläge planen, dann geht es um den Schutz des Rechtsstaates und der Demokratie. Aber was gerade passiert, ist das Gegenteil davon. Das neue Gesetz ist ein Angriff auf den Rechtsstaat und die Demokratie. Menschen können nicht mehr vertraulich miteinander, mit Journalisten oder mit NGOs kommunizieren. Sie werden sich zweimal überlegen, was für Suchbegriffe sie im Internet eingeben. Der Raum für freie Meinungsäußerung und Meinungsbildung wird dadurch kleiner.

Wie argumentieren die Befürworter des Gesetzes?

Was die Sicherheitsdienste sagen, ist, dass sie nach Gefahren suchen wollen, die sie noch nicht kennen. Und weil sie die Gefahren noch nicht kennen, brauchen sie ungerichtete Befugnisse zur Überwachung von Internetkommunikation. Was sie damit eigentlich meinen, ist: Wir wollen alles überwachen können. Ich finde das unproportional. Man weiß noch nicht mal, ob eine Gefahr besteht. Es kommt zu einem enormen Einschnitt in die Privatsphäre der Bürger, ohne dass es einen konkreten Anlass dafür gibt.

Macht es nicht trotzdem Sinn, Internetkommunikation zu beobachten? Attentäter benutzen auch WhatsApp.

Das Gesetz erlaubt jetzt schon, dass Internetkommunikation abgehört wird, aber nur von Verdächtigen. Das kann man auch problematisieren. Aber im Prinzip funktioniert es so. Es gibt eine Person, von der man denkt, dass sie etwas Gefährliches plant. Und die wird überwacht. Was sich mit dem neuen Gesetz verändert, ist, dass man im Prinzip jeden abhören darf. Das wird vielleicht nicht gleich passieren. Aber es wird durch das Gesetz möglich. Telekommunikationsüberwachung war noch nie in so großem Maßstab und so ungerichtet anwendbar. Das ist das Neue.

Wer hat alles Zugriff auf die Daten?

Das neue Gesetz bietet die Möglichkeit, große Mengen an Daten ohne vorherige Analyse an Auslandsgeheimdienste weiterzugeben. Darunter können sensible Daten sein. Zum Beispiel: In den Niederlanden wird Homosexualität im Allgemeinen gesellschaftlich akzeptiert, und es gibt keine rechtliche Diskriminierung. Aber wenn persönliche Kommunikation weitergegeben wird, aus der deutlich wird, dass jemand homosexuell ist, oder wenn NGOs zu diesem Thema arbeiten und ihre Kommunikation weitergeleitet wird, dann kann das in Ländern, in denen Homosexualität strafbar ist, schwerwiegende Konsequenzen haben. Oder denken Sie mal an die Kommunikation von niederländischen Journalisten oder Anwälten mit Aktivisten im Ausland. Wenn solche Kommunikation abgefangen wird und in die falschen Hände gerät, dann ist das sehr problematisch.

Jetzt kann die Bevölkerung in einem Referendum über diese Gesetzesänderung abstimmen. Gibt es viel Gegenwind?

Bis vor ein paar Jahren war Privatsphäre in der niederländischen Gesellschaft kein Thema. Die meisten Leute meinten, sie haben nichts zu verbergen. Aber ich habe das Gefühl, das verändert sich. Es gab viel Berichterstattung über Fälle, in denen die Sicherheitsdienste ihre Kompetenzen überschritten haben, und witzige Aktionen, die auf das Thema aufmerksam gemacht haben. Es gibt zum Beispiel Leute, die den Staat heiraten wollen. Sie witzeln, dass er bald mehr über sie wisse als ihr Partner.

Was erwarten Sie vom Referendum?

Die Mindestwahlbeteiligung werden wir wahrscheinlich erreichen, weil die Abstimmung gleichzeitig mit den Kommunalwahlen stattfindet. Aber wie das Referendum ausgehen wird, ist schwer zu sagen. In den ersten Umfragen gab es eine deutliche Mehrheit für die Gesetzesänderung, da die großen Parteien sich für das Gesetz stark- gemacht haben. Aber mit jeder Umfrage sieht man, dass Leute, die Ja stimmen wollten, nun zweifeln und auch ein paar Zweifler zum Nein abwandern. Ich hoffe auf ein knappes »Nein« zum Gesetz.

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