Machtstrukturen zeigen, ohne den Atompilz zu brauchen

Am Staatstheater Nürnberg inszenierte Peter Konwtischny Bernd Alois Zimmermanns Oper »Die Soldaten«

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Peter Konwitschny ist nicht der Mann für Regie-Gefälligkeiten. Selbst wenn es zum 100. Geburtstag von Bernd Alois Zimmermann ist. Der lag mit seinem Komponieren zwar etwas abseits der schnell kanonisierten Nachkriegsavantgarde, hat aber mit den »Soldaten« 1965 einen Opernerfolg gelandet, der es tatsächlich ins Repertoire schaffte. Ob in Dresden oder Bochum, in Salzburg, Zürich oder München - die »Soldaten« hinterlassen immer einen gewaltigen Eindruck.

Oft allein schon durch den Versuch, die simultan gestrickten und schnell wechselnden Szenen auf einer Bühne in ihrer Gleichzeitigkeit mehr oder weniger stilisiert zu zeigen. Und damit in den Raum zu projizieren, was Zimmermann gemeint haben mag mit seiner These von der Kugelgestalt der Zeit, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem gleichen Abstand vom Rezipienten in der Mitte der imaginären Kugel sieht.

Auch Konwitschny und der ihm seit Jahrzehnten als Ausstatter vertraute Hallenser Helmut Brade imaginieren dieses Überfluten der Wahrnehmung. In Nürnberg gibt es die Pause recht spät, dafür wechselt das Publikum für die letzten zwanzig Minuten vom Zuschauerraum auf die Bühne, gleichsam mitten ins musikalische Geschehen, während die Protagonisten in die Ränge des Schnürbodens und die Ränge des Zuschauerraumes ausweichen.

Nur die Begegnung der zur Straßenhure heruntergekommenen Marie mit ihrem Vater (Tilmann Rönnebeck), der sie nicht mehr erkennt, spielt mitten unter den Zuschauern. Das berührt - auch oder gerade weil die Uniformen der Männer hier Businessanzüge von heute sind. Die Musik entfaltet ohne historisierende Szene ihre exemplarische Wirkung. Was ohne den von Generalmusikdirektor Marcus Bosch faszinierend koordinierten Beitrag der Staatsphilharmonie Nürnberg natürlich nicht funktionieren würde.

Den Schluss ändert Konwitschny - aber nicht mit einem willkürlichen Eingriff um des Effekts willen, sondern im Gegenteil: Er lässt den von Zimmermann vorgesehenen Effekt weg - die Bandzuspielung samt Video mit aufsteigendem Atompilz als Menetekel. Und das macht in dieser Lesart Sinn. Denn Konwitschny rückt nicht Zimmermanns Methode, sondern der zugrunde liegenden Geschichte von Jakob Michael Reinhold Lenz auf die Pelle. So deutlich und so klar und nachvollziehbar gab dies wohl noch nicht.

Es geht um die hübsche, aber schlichte Marie, die mit dem braven Stolzius (Jochen Kupfer) eigentlich einen standesgemäßen Verlobten hat. Die aber dann, teils aus Naivität, teils aus väterlichem Kalkül folgend, mit Verehrern über ihrem Stand (und damit ohne realistische Aussicht auf eine versorgende Ehe) verkehrt, ihren guten Ruf einbüßt, alsbald als Soldatenhure bezeichnet wird und es am Ende auch ist. Susanne Elmark fasziniert dabei mit unglaublicher Präzision und Wandlungsfähigkeit.

Stolzius sinnt wie Woyzeck in ähnlicher Lage auf Rache. Er bringt aber nicht Marie, sondern den adligen Verführer Baron Desportes (Uwe Stikert) und sich selbst um. Was ein schwacher Trost ist, denn sie hat keine Perspektive. Hinter ihre Tragik und seine Anklage der Machtstrukturen einer patriarchalischen Gesellschaft hat Zimmermann ein Ausrufezeichen gesetzt. Bei Konwitschny wird daraus die kardiologische Kurve eines Herzschlags, der einfach aufhört.

Nächste Vorstellungen: 25. März, 8. und 14. April

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