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Völkische Listen holen schwache Erfolge
Kein Rechtsruck bei den Betriebsratswahlen / Dörre: Gewerkschaften sollen Problem dennoch nicht kleinreden
»Diese Betriebsratswahl war einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik«, feiert sich das rechte »Zentrum Automobil« in einer Erklärung zum Ergebnis der Betriebsratswahl im Daimler-Stammwerk in Untertürkheim. An »eine schnelle Rückkehr zum Alltagsgeschäft« sei nun nicht zu denken. Übertrieben ist das dann aber doch: Zwar ist es der Gruppe um »Zentrum«-Chef Oliver Hilburger gelungen, ihr Ergebnis von vier auf sechs Mandate im Betriebsrat zu steigern, insgesamt gaben 13 Prozent der wählenden Kollegen den Rechten ihre Stimme. Doch auch die IG Metall konnte zulegen und sich mit 75,7 Prozent klar als stärkste Kraft behaupten.
Ähnlich sieht am BMW-Standort in Leipzig aus. Dort errang das »Zentrum« aus dem Stand vier Mandate, während elf Prozent der wählenden Belegschaft die neue rechte Bewegung unterstützten. Auch bei Mercedes in Sindelfingen (zwei Sitze) und in Rastatt (drei Sitze) konnte die rechte Gewerkschaft erstmals Mandate holen, auch wenn die prozentualen Wahlergebnisse hier klar im einstelligen Bereich blieben. Ingesamt relativiert sich das Ergebnis jedoch, sobald es um die bundesweiten Zahlen geht. Hilburgers Gruppe holte an sechs Standorten 19 Betriebsratssitze, in ganz Deutschland werden in diesen Wochen aber etwa 180 000 Mandate neu gewählt. »Von einem Rechtsruck zu sprechen, halte ich für übertrieben«, beruhigt Klaus Dörre, Professor für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Universität Jena, gegenüber »nd«.
Wer genauer in die Ergebnisse schaue, werde feststellen, dass auch die IG Metall zugelegt habe. Auch die mediale Aufmerksamkeit habe dazu beigetragen, dass etwa in Untertürkheim die Wahlbeteiligung um sechs Prozent gestiegen ist. »Dennoch ist es nicht gelungen, rechte Wahlerfolge zu verhindern. Das darf man nicht bagatellisieren«, warnt Dörre. Er hält die Gefahr für realistisch, dass in wichtigen Unternehmen künftig die Opposition zu den gewerkschaftlichen Betriebsräten von den äußersten Rechten organisiert werden könnte.
Große Unterschiede zwischen den Ergebnissen im Osten und Westen sieht der Forscher nicht. Das Potenzial für die Rechten sei bundesweit gegeben. »Richtig ist aber, dass wir im Osten ein Ende der Bescheidenheit erleben. Viele wollen es nicht länger hinnehmen, als Arbeitnehmer zweiter Klasse behandelt zu werden«, so Dörre. Gründe für diese Unzufriedenheit gibt es viele: Leiharbeit, Niedriglöhne, Leistungsdruck, fehlende Mitbestimmung und längere Arbeitszeiten. Das alles suche »nach Adressaten. Das können dann auch rechte Betriebsratslisten sein.«
Wie die Rechten versuchen Fuß zu fassen, erlebt man derzeit in Görlitz. Letzten Herbst wurde bekannt, dass das Görlitzer Turbinenwerk von Siemens mit fast 1000 Mitarbeitern wieder einmal vor dem Aus stehe. Zwar erklärte Konzernchef Joe Kaeser nach heftigen Protesten bereits im Februar, dass das Werk bis mindestens 2023 bestehen bleibe, doch da hatten sowohl die rechten Gewerkschafter als auch die AfD längst ihre Chance erkannt, die Abstiegsängste der Beschäftigten zu instrumentalisieren. Vor drei Wochen beteiligten sich knapp 1000 Menschen in Görlitz an einer von der Rechtsaußenpartei initierten Kundgebung, bei der es um die Zukunft der Arbeitsplätze in der Lausitz ging. Auch am Görlitzer Standort des Waggonbauers Bombardier sieht die Zukunft alles andere als rosig aus. Doch auch hier hat die IG Metall weiterhin klar die Oberhand: Vor wenigen Wochen organisierte die Gewerkschaft ebenfalls eine Demonstration. Es kamen 7000 Menschen.
Bei der Betriebsratswahl hatten die Rechten keine Chance. Zwar behauptet das »Zentrum« auf sein Website, bei Siemens in Görlitz künftig über zwei Mandate zu verfügen, doch die IG Metall weist dies zurück. »Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeglicher Vereinnahmung durch rechte oder nationalistische Kräfte«, so die Gewerkschaft in einer Mitteilung. Tatsächlich habe es zwei IG Metall-Listen bei der Wahl gegeben, doch beide hätten nach Angaben der Metaller nichts mit der rechten Bewegung zu tun. Sie bildeten »einen repräsentativen Querschnitt der Belegschaft ab«. Laut Jan Otto, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostsachsen, sei dieses Vorgehen mehrerer IG Metall Listen üblich und kein Zeichen der Spaltung. »Es ist eine gute und lange Tradition, dass Metallerinnen und Metaller unterschiedlicher Betriebsteile auf verschiedenen Listen zur Betriebsratswahl kandidieren«, so Otto. Am Ende war die Sache eindeutig: Alle Mitglieder der neu gewählten Interessenvertretung sind IG-Metall-Mitglieder.
Hier können Gruppen ansetzen. »Die Rechten geben gerne die Globalisierungskritiker und Kämpfer. Den Gewerkschaften werfen sie vor, Teil des Establishments zu sein. Wo sie genug Personal haben, präsentieren sich die Rechten als Kümmerer«, erklärt Dörre. Doch anstatt um einen Klassenkampf gehe es ihnen um »die Ethnisierung der sozialen Frage«. Dörre warnt: »Das ist ein Sprengsatz für gewerkschaftliche Solidarität.« Den Gewerkschaften rät der Wissenschaftler, das Problem nicht kleinzureden. »An einer offensiven Auseinandersetzung mit der völkischen Rechten auch in den eigenen Reihen führt kein Weg vorbei«, mahnt Dörre.
»Heiße Eisen« wie etwa die Migrationsfrage dürften nicht aus der gewerkschaftlichen Kommunikation ausgeklammert werden. »Vor allem aber gilt: Kämpferische Interessenpolitik entzieht dem Sozialpopulismus den Problemrohstoff.« Ansätze dazu hätten sich zuletzt beim Kampf der IG Metall für die verkürzte Vollzeit gezeigt. Hier müsse jetzt nachgelegt werden, etwa mit konkreten Schritten zur Einführung der 35-Stunden-Woche auch im Osten.
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hatte es geheißen, das »Zentrum Automobil« sei in Görlitz mit einer eigenen Liste angetreten.
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