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Zeitungmachen für die Ärmsten
Das Hamburger Straßenmagazin »Hinz&Kunzt« begeht in diesem Jahr sein 25. Jubiläum
In den Redaktionsräumen von »Hinz&Kunzt« in Hamburgs Altstädter Twiete herrscht wuseliges Durcheinander. Hier werden die monatlich erscheinenden Hefte nicht nur produziert, sondern auch an die Verkäufer verteilt. In einer Ecke stapeln sich Schlafsäcke, an der kleinen Theke wird Kaffee ausgeschenkt. Stimmengewirr durchdringt den Raum. Und wo ist Birgit Müller? »Die schwirrt hier irgendwo herum«, sagt einer, »komm mal mit!« Nach kurzer Suche eilt die Chefredakteurin dem Besucher entgegen, entschuldigt sich: »Wir produzieren gerade zwei Ausgaben, da gibt‘s ein bisschen Stress.«
Noch in den letzten Wochen herrschte in Hamburg in der Nacht bisweilen Eiseskälte. Wer auf der Straße lebt, muss aufpassen, dass er bei den Minustemperaturen nicht erfriert. 2000 Menschen ohne Obdach leben in der Hansestadt. Doch das städtische Winternotprogramm hält nur 800 bis 900 Schlafplätze für diese Menschen vor - und dies auch nur nachts. Tagsüber müssen die Unterkünfte von den Nutzern geräumt werden. Aus Protest dagegen hatte »Hinz&Kunzt« im Winter zu einer »komisch-schrägen Kunstaktion« aufgerufen, mit der sich die in Schlafklamotten gewandeten »Künztler« Ionut, Spinne, Jörg und Norbert zur Wehr setzten und forderten: »Hamburg, mach nicht dicht!«
Noch schlechter ginge es vielen osteuropäischen Obdachlosen, kritisiert Birgit Müller: »Die haben überhaupt keinen Anspruch, dort aufgenommen zu werden, wenn in ihrem Pass eine Adresse vermerkt ist. Die gelten dann nicht als obdachlos.« Die Betroffenen campieren dann auf Grünstreifen entlang der Hauptverkehrsstraßen oder in Autos, die am Rande von Gewerbegebieten abgestellt werden. »Es ist schon bitter: Deutschland profitiert stark von der EU-Freizügigkeit. Aber für die kleine Gruppe, die hier strandet, sind keine Mittel da.«
Beeindruckt war die 61-Jährige vom Buch »Arrival City« von Douglas Saunders, das auch Olaf Scholz, jetzt Bundesfinanzminister und bisher Erster Bürgermeister Hamburgs, gern zitiert. Müller: »Der Autor besuchte mehrere Länder, schildert das Leben auf dem untersten Level und wie sich Menschen von dort aus hocharbeiten.« Auch Hamburg sei so eine Ankunftsstadt, meint die Journalistin. Aktuell vor allem für Rumänen und Bulgaren, die es aus der totalen Perspektivlosigkeit hierher ziehe: »Für diese Menschen ist sogar Flaschensammeln in Deutschland eine Perspektive. Diese Menschen leben hier in den allerletzten Bruchbuden.«
So an der Seehafenstraße, wo skrupellose Vermieter Kasse machen mit dem Elend der Zuwanderer, die sich bis zu viert in ein 17-Quadratmeter-Zimmer quetschen und dieses mit Kakerlaken und Schimmelsporen teilen müssen. Das Wichtigste für diese Menschen sei es, sagt Müller, die Kinder nachzuholen, auch wenn nur die kleinste Bude zur Verfügung stehe.
Die Empathie für Menschen am untersten Ende der Sozialskala scheint der in Oberhausen geborenen und in Karlsruhe aufgewachsenen Enkelin eines Bonbon- und Waffelfabrikanten ebenso in die Wiege gelegt worden zu sein wie die Begeisterung für Hamburg. Als Kind hatte sie in der Stadt Urlaub gemacht und war vom vielen Wasser beeindruckt. Nun wohnt sie schon lange in Hamburg.
»Ich will in einer Gesellschaft leben, in der Armut kein Stigma ist. In der man etwas Gutes für andere, nicht nur für sich selbst tut. Ich leide darunter, wenn ich in einer Ellenbogengesellschaft bin«, sagte sie einmal dem »Hamburger Abendblatt«. Dort hatte sie nach ihrem Spanisch- und Germanistikstudium und anschließendem Referendariat angeheuert. Der Neoliberalismus dominiere aber auch das politische Hamburg, seufzt Müller: »Bei der CDU herrscht er unverhohlen, doch bei der SPD ist er leider genauso angekommen.« Von der Stadt erhält »Hinz&Kunzt« keinen Cent. Träger der gemeinnützigen Verlags- und Vertriebs GmbH sind das Diakonische Werk unter Federführung von Landespastor Dirk Ahrens und die gemeinnützige »Patriotische Gesellschaft von 1765«.
Zum 25. Geburtstag des Straßenmagazins kochen vom 4. April an 25 Tage lang 25 Hamburger Köche in einem »Restaurant auf Zeit« im Stadtteil Eimsbüttel. Das abendliche Drei-Gänge-Menü zum Festpreis diene als Querfinanzierung für den Mittagstisch, sagt Birgit Müller. »Jeder zahlt, was er kann.« Die erste Ausgabe von »Hinz&Kunzt« erschien übrigens am 6. November 1993.
»Eigentlich haben Obdachlose und Flüchtlinge auf dem Wohnungsmarkt keine Chance, aber es gibt Lichtblicke«, sagt Müller zum Abschied. »Viele haben mithilfe unseres Projekts eine Bleibe bekommen, zum Beispiel die Kennedys. So nennen wir die Gruppe, die unter der gleichnamigen Brücke übernachtet hat. Die leben jetzt in Eidelstedt.« Wie das? »Eine ›Hinz&Kunzt‹-Käuferin hat ihr Elternhaus in Eidelstedt geerbt und die Nachbarn gefragt, ob sie was dagegen hätten, wenn dort Obdachlose einziehen.« Hatten sie nicht.
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