Bis einer heult
»Michael Kohlhaas« in einer Koproduktion der Ernst-Busch-Hochschule und der Mongolian University of Arts
Einen »Don Quichotte des mittelalterlichen Rechtsverständnisses« nannte der Philosoph Ernst Bloch den Kleist’schen Helden Michael Kohlhaas. Tatsächlich rennt der in einem Anfall von Gerechtigkeitswahn gegen alle Windmühlenflügel eines Unrechtssystems an. Es ist die mehrmals verfilmte und vom Theater adaptierte Geschichte vom Rosshändler Michael Kohlhaas aus Kohlhasenbrück, dem vom Junker Tronka die Weitereise verweigert wird, der wegen Ermangelung eines Handelsscheins seine wohlgenährten Rappen zurücklassen muss, die er bei der Rückkunft halb verhungert vorfindet.
Er fordert Schadenersatz und die »Dickfütterung der Rappen«. Ihm stirbt die Frau Lisbeth durch Verschulden der Büttel des Junkers. Dann brennen ihm alle Sicherungen durch, und er brennt Wittenberg aus Rache nieder, wofür er auch bei Martin Luther kein Verständnis findet und schließlich zum Tode auf dem Schafott verurteilt wird. Ein Urteil, das er akzeptiert, weil gleichzeitig der Junker zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wird, wodurch für Kohlhaas die Gerechtigkeit wiederhergestellt ist.
Namhafte Regisseure wie Miloš Forman, Volker Schlöndorff oder Adolf Dresen haben versucht, den Stoff durchlässig zu machen für die politische Gegenwart ihrer Zeit. In der Inszenierung im Theater von Hermannstadt (Rumänien) schien unter den Verbrechen der Junker und Richter das Schreckensregime Ceausescus auf, und der Regisseur Antú Romero Nunes lenkte in seiner Hamburger Inszenierung den Blick auf Kohlhaasens Nachfolgegeneration und verwickelte die in windige Bank- und Handelsgeschäfte - ausgehend von Kleists Bemerkung, dass dem Kohlhaas »im vergangnen Jahrhundert rüstige Nachfahren« gefolgt seien.
In der nun im Studiotheater »BAT« vorgestellten Inszenierung der Regiestudentin Friederike Förster rückt das Problemfeld von Korruption und sozialer Ungerechtigkeit ins Zentrum. Das beginnt schon im Kassenraum. In schwarzer Schrift auf weißen Lichtfeldern werden Gerechtigkeit und Weltfrieden als höchste Güter benannt und die Forderung erhoben: »Jeder hat das Recht auf Gerechtigkeit«. In der Aufführung flüstern die Darsteller den Zuschauern Details von Korruption und sozialer Ungerechtigkeit in der Gegenwart ins Ohr, und eine Spielerin will eine Bewegung für Gerechtigkeit ins Leben rufen.
Als Krone der Ungerechtigkeit gebärdet sich der Junker als Sieger über Kohlhaas und freut sich auf die Siegesfeier in seinem Palast. Hinzu erfunden ist die Figur des Autors Kleist. Der stellt die Figuren vor und weist sie an ihren Platz, protestiert lautstark gegen Verflachung und droht, seinen Text zurückzuziehen. Er führt neue Figuren wie Martin Luther ein und hofft mit dem auf inhaltliche Vertiefung. Darstellerisch gibt es unübersehbar allerhand Leerlauf. Texte werden angestrengt ausgerufen oder ohne innere Beteiligung abgespult. Äußere Vorgänge wie die Zurückweisung von Kohlhaas an der Landesgrenze oder seine Suche nach der Behörde, die seinen Handelsschein ausstellen kann, geraten viel zu breit.
Dramatische Gestalten sind nicht zu erkennen, bestenfalls eine schlüssige Aneinanderreihung von theatralischen Wirkungselementen. Im Gegensatz dazu gibt es einige beführende und stille Momente. So wie die Szene, in der Lisbeth schweren Herzens einwilligt, die Kinder vorsichtshalber zur Tante zu bringen, oder wenn sie am Hof des Junkers auf taube Ohren und abweisende Gesten trifft.
Ein Höhepunkt: ihre Beerdigung - auf den Schultern von Freunden und Verwandten, begleitet von einer Geige und vom Obertongesang eines Mitspielers. Auffällig auch die Suche nach zeichenhaften Bildern. Ein Rappe von Kohlhaas erscheint in der Gestalt einer zerbrechlichen Drahtkonstruktion, ummantelt mit weißem Laken. Der Prozess seiner Verwahrlosung wird dargestellt durch das allmähliche Abreißen der Ummantelung.
Insgesamt eine Aufführung, die weniger als anrechtsfördernde Inszenierung des Stadttheaters geeignet ist, wohl aber als ehrgeiziges Ausbildungsprojekt.
Nächste Vorstellung: 29. März
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