- Politik
- Streit um die Agenda 2010
Vizekanzler Scholz will an Hartz IV festhalten
Finanzminister lehnt die Abschaffung des einstigen Kernstücks der Agenda 2010 ab / Unionspolitiker fordern Ende der Diskussion über neue Form der Grundsicherung
Berlin. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) lehnt in der Debatte um eine Reform der Grundsicherung eine Abschaffung von Hartz IV ab. Für die SPD bleibe es beim Kernprinzip dieser Arbeitsmarktreform, sagte Scholz den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstagsausgaben). Auch seine Parteikollegen, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und SPD-Vize Ralf Stegner, würden »das Prinzip des Förderns und Forderns nicht infrage« stellen.
Müller und Stegner hatten jüngst ein Ende von Hartz IV in seiner bisherigen Form gefordert. Müller sprach sich für ein solidarisches Grundeinkommen aus, bei dem die Bezieher einer gemeinnützigen Arbeit nachgehen und dafür höhere Leistungen als beim Arbeitslosengeld II erhalten. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte dazu in einem Zeitungsinterview vom Mittwoch, dies sei »eine notwendige Debatte, die wir führen werden«.
Scholz sagte nun den Funke-Medien, die Diskussion in der SPD drehe sich um die Ausgestaltung eines sozialen Arbeitsmarkts. Dieser sei nötig, weil viele Menschen noch immer keinen Job auf dem regulären Arbeitsmarkt fänden. »Die Zahl der Bürger, die über lange Zeit arbeitslos sind, muss sich deutlich verringern«, forderte Scholz. Er werbe dafür, intensiv mit Gewerkschaften, Unternehmern und dem Koalitionspartner zu sprechen, um den Betroffenen zu helfen. Mit der Union sei vereinbart, dafür vier Milliarden Euro für einen sozialen Arbeitsmarkt auszugeben.
In der CDU wurden Forderungen nach einem Ende der Debatte laut. Hartz IV müsse »nicht reformiert oder abgeschafft werden und es braucht auch keinen neuen Namen«, sagte der nordrhein-westfälische Arbeitsminister und Vorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann (CDU), der »Welt« (Donnerstagsausgabe). Da für die Integration von Langzeitarbeitslosen vier Milliarden Euro bereitstünden, solle nun lieber diskutiert werden, »wie die Maßnahmen konkret ausgestaltet werden sollen«.
Der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der Union, Carsten Linnemann (CDU), sagte der »Welt«: »Der reguläre Arbeitsmarkt ist derzeit aufnahmefähig wie ein Schwamm. Da finde ich es geradezu grotesk, einen staatlich organisierten 'Nebenarbeitsmarkt' schaffen zu wollen.«
Die Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion für Arbeit und Soziales, Kerstin Tack, sagte der »Welt«, bei Müllers Vorschlag handele es sich um »ein freiwilliges Angebot«. Daher werde es auch weiterhin Arbeitslosengeld-II geben. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch machte deutlich, dass seine Partei grundsätzlich über ein gerechteres Sozialsystem diskutieren werde. »Hartz IV in seiner jetzigen Form bedeutet Armut und macht den Menschen Angst«, diagnostizierte der Parteilinke.
Zustimmung hatte Müller am Mittwoch von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) erhalten. »Das ist eine notwendige Debatte, die wir führen werden.« Er setze auf »konkrete und machbare Lösungen, die der Lebensrealität der Menschen entsprechen«, so Heil in der »Bild«.
Wagenknecht: »Solidarisches Grundeinkommen« heißt nur mehr Armutslöhne
Die Grünen und die Linkspartei begrüßten die Debatte, forderten aber umfassendere Reformen. Die Fraktionschefin der LINKEN, Sahra Wagenknecht, sagte der »Augsburger Allgemeinen« (Donnerstag), ein solidarisches Grundeinkommen bedeute aber lediglich, dass noch mehr Menschen für Armutslöhne arbeiten würden. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anja Hajduk, sagte, 900.000 Langzeitarbeitslose, Kinderarmut und die prekäre Lage vieler Alleinerziehender zeigten, dass das Thema Hartz IV in seiner Gesamtheit angegangen werden müsse.
In der Bevölkerung stößt der Berliner Bürgermeister auf großen Zuspruch. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Civey im Auftrag des »Tagesspiegels« in dieser Woche. Auf die Frage: »Sollte jeder Langzeitarbeitslose in Deutschland das Recht auf eine gemeinnützige, steuerfinanzierte Beschäftigung zum Mindestlohn erhalten?« antworteten knapp 62 Prozent der Befragten mit »Ja, auf jeden Fall« oder mit »Eher ja«. 26 Prozent äußerten sich ablehnend. Zwölf Prozent waren unentschieden. Agenturen/nd
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